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Der Fuenf-Minuten-Philosoph

Der Fuenf-Minuten-Philosoph

Titel: Der Fuenf-Minuten-Philosoph Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Benedict
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Erfahrung. Dagegen gab sich David Hume überzeugt, dass unsere Erfahrungen nur aus lose verbundenen unterschiedlichen »Wahrnehmungen des Geistes« bestünden, von denen unser Selbst-Bewusstsein nur eine unter vielen sei. Ebenso argumentierte Immanuel Kant (1724–1804), dass das dauerhafte Ich das Subjekt geordneter und koordinierter Erfahrung sei: Wir müssten nur deshalb die Vorstellung von einem Ich zulassen, weil »etwas« diese Erfahrung vornehme. Im Erfahrungsprozess sei das Ich für jede Art physisches Vorkommnis empfänglich: Es schaffe sich sein eigenes Konstrukt der Welt der Erscheinungen, das sich mit dem, was andere Ichs sich schaffen, teilweise decken, sich davon aber auch deutlich unterscheiden könne. Beim Fühlen, Vorstellen, Erinnern und Denken setze sich das Ich seine eigene persönliche Geschichte zusammen. Wie der italienische Lyriker und Dramatiker Ugo Betti (1892–1953) sagte: »Wenn ich ›ich‹ sage, meine ich ein absolut einzigartiges Ding, das mit keinem anderen verwechselt werden kann.« Gewiss liegt im Zentrum unseres Bewusstseins eine Wesenheit, ein mit dem Begriff »Ich« umrissener Fixpunkt, denn wie könnte etwas, das das Subjekt der Erfahrung ist, das auf den steten Wandel reagiert und ihn assimiliert, etwas anders sein als eine unveränderliche Entität?
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    »Man mag den Kosmos verstehen, nie aber das Ich. Das Ich ist weiter entfernt als jeder Stern.«
    Gilbert Keith Chesterton (1874–1936)
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    Dank des »Ich«, über das ich nachdenke und von dem ich rede, weiß ich, dass ich existiere. Ich kann mir dessen sicher sein, dass »ich bin«, welche Kriterien ich auch anlege, um dies zu bestätigen. Dieses »Ich« ist das Subjekt der Selbstachtung. Es hat ein Bild von sich selbst und gefällt sich selbst darin, sich für frei und unabhängig zu halten. Wir sind uns unserer selbst bewusst. Wirwissen, was das Selbst denkt und treibt, und wir spüren Selbstbewusstsein, Selbstzweifel und Selbstwertschätzung, geraten aber in Schwierigkeiten, wenn wir nachfragen, was dieses Selbst, dieses Ich, eigentlich sei. Denn auf welchem Weg wir uns ihm auch nähern, es scheint sich uns immer zu entziehen.
Wie viele Ichs habe ich?
    Hier geht es nicht um die multiple Persönlichkeitsstörung, bei der sich die Betroffenen bewusst sind, dass sie verschiedene, abgespaltene Persönlichkeiten haben, sondern um das viele von uns beschleichende Gefühl, dass wir als ein Ich auf zahlreiche unterschiedliche Arten existieren. Was uns ausmacht, ist eine endlose Vielfalt, so dass wir in gewissen Situationen sogar von uns sagen können: »Das war doch nicht ich.« Oder: »Ich mag nicht glauben, dass ich das tatsächlich getan (oder gesagt) habe.« Unser öffentliches Ich unterscheidet sich deutlich von unserem privaten. Wir verstehen uns darauf, unser Ich an verschiedene gesellschaftliche Umgebungen anzupassen und nach der jeweiligen Beziehung zu anderen ein verschiedenes Ich zum Vorschein zu bringen. Der amerikanische Soziologe Charles Cooley (1864–1929) schrieb über das Looking glass self oder den »Spiegelbildeffekt«, wonach wir uns an anderer Leute Meinungen und Wahrnehmungen, die uns betreffen, anpassen und uns so im sozialen Miteinander selbst erschaffen. Wir »sehen uns nicht so, wie uns andere sehen«, sondern verwandeln uns in das, was andere von uns halten. Und da wir dies ständig tun, bringen wir aus unserer konstanten Anpassung eine beachtliche Vielfalt an Ichs hervor.
    Meistens geschieht dies sogar bewusst. Wir verwandeln uns in jeder Situation unter dem sozialen Druck zur Anpassung oder unter dem persönlichen zur Behauptung unserer Einzigartigkeit in etwas anderes. Zu einem Problem wird dies nur dann, wenn wir selbst und diejenigen, die uns kennen, gar nicht mehr wissen, wer wir tatsächlich sind. Wir sind als eine bestimmte Person mit komplexen Charakter- und Persönlichkeitsmerkmalen bekannt. In unserem sich ständig verändernden sozialen Umfeld bemühen wir uns allerdings, diejenige Person zu verkörpern, von der wir meinen, dass sie jeweils bekannt ist, und spielen uns selbst als Reaktion auf die vermeintlichen Erwartungen der anderen. Dabei kommen in allen unseren wechselnden Rollen, ob privat, gesellschaftlich oder beruflich, verschiedene Wünsche, Bedürfnisse, Ambitionen, Stärken und Schwächen zum Vorschein.
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    »Ein Mensch hat so viele soziale Ichs, wie es Individuen gibt, die ihn beachten.«
    William James (1842–1910)
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    Und auch uns selbst präsentieren wir ein

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