Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Lebensweise und Wahrnehmung von unserem Leben. Das wohl Bemerkenswerteste ist, dass wir ein Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit haben und schon das allein gibt unserer Existenz einen einzigartigen Rahmen. Wir denken über diesen und alle anderen Aspekte unseres Lebens nach, entwickeln philosophische Theorien, um zu einem tieferen Verständnis der Dinge zu gelangen, und kommunizieren in komplexen Sprachen und mit High-Tech-Mitteln. Wir haben Elemente erobert, für die wir biologisch nicht geschaffen sind. Wir gehen aufrecht, schwimmen, fahren und fliegen um die Welt und sogar bis zum Mond. Wir wirken schöpferisch in einer riesigen Bandbreite von Disziplinen, wir verhüten und schaffen künstlich Leben, verändern seine Formen, fällen ästhetische Urteile und sind theoretisch in der Lage, das Leben auf der Erde auszulöschen.
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»Welch ein Meisterwerk ist der Mensch!«
William Shakespeare (1564–1616), Hamlet, II,2
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Wir seien »unbegrenzt an Fähigkeiten«, staunte Hamlet, und diese zeichnen uns gegenüber den anderen tierischen Spezies aus, auch wenn der dänische Prinz (beziehungsweise Shakespeare) noch nicht wissen konnte, dass hinter unseren Besonderheiten ein Evolutionsprozess steckt. Doch sind wir deswegen keineswegs das wohltätigste oder friedliebendste Geschöpf auf unserer Erde, und ein Urteil, ob wir, mit Hamlet gesprochen, wirklich als »das Vorbild der Lebendigen« gelten können, steht noch aus.
Was ist der Tod?
Weder wir noch andere Lebewesen können jemals den Tod erfahren, sondern nur das Sterben. Der Tod als Ende des Lebens ist der Zustand des Nicht-Mehr-Seins, der Stillstand aller biologischen Funktionen, die das Leben eines Organismus ausmachen. Was der Tod sei, lässt sich so nur anhand einer Definition des Lebens bestimmen, und hier herrscht kein Konsens. Wenn wir sagen, der Tod trete beim Aussetzen der lebenswichtigen Organfunktionen ein, müssen wir diese definieren. Üblicherweise geht man davon aus, dass das Leben da aufhört, wo die unwillkürliche Atem- und Herztätigkeit aussetzt. Allerdings lassen sich beide künstlich aufrechterhalten, was die Frage aufwirft, wie lange ein Leben auf diese Weise unterstützt werden kann, ehe klar erkennbar ist, dass der lebensbedrohliche Zustand unumkehrbar ist. In Großbritannien tauchte 1976 erstmals der Ausdruck brain death für »Hirntod« auf, um Patienten, die sich zumindest teilweise erholen können, von denen zu unterscheiden, deren Schicksal für immer besiegelt ist. Ein Patient, bei dem der »Stammhirntod« festgestellt wurde, wird sich nie mehr erholen, aber er ist auch noch nicht tot.
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»Komm, nun höchstes Fest auf dem Wege zur Freiheit, Tod …«
Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)
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Der Sinn des Lebens sei es, so hieß es, das Sterben zu lernen – eine bedrückende Aufgabe. Auch wenn wir im Wissen der eigenen Sterblichkeit leben, können wir uns nicht ständig vor Augen halten, dass der Schatten des Todes auf uns liegt. Die wichtigsten Religionen der Welt halten ihre Gläubigen dazu an, den fernen Horizont des Todes im Blick zu behalten, aber nicht, um sich zu fragen, wann sie sterben werden. Vielmehr sollen sie, wie der Benediktinermönch und Theologe David Steindl-Rast (* 1926) es formulierte, »jeden Augenblick des Lebens als Herausforderung sehen, sich das Sterben in jedem Augenblick mit bewusst zu machen, um umfassender lebendig zu sein«.
Es gibt viele Berichte über eine sogenannte »Nahtoderfahrung«, der offenbar einzigen Möglichkeit, den Tod tatsächlich zu erfahren. Entweder kommt der Betreffende dem Tod so nahe,dass er ihn beschreiben kann, oder – ein seltener Fall – er kehrt, nachdem er bereits für tot erklärt worden ist, ins Leben zurück und kann von seiner Erfahrung berichten. Im letzteren Fall können wir sagen, die Erfahrung sei eine zeitweilige Transzendenz des Todes. Nahtoderfahrungen wurden von medizinischen, psychiatrischen und psychologischen Fakultäten untersucht. Dabei zeigten sich gemeinsame Merkmale, so ein Bewusstsein dafür, dass man tot ist. Andere »Empfindungen« werden beschrieben als absolute Ruhe, als das Gefühl, sich außerhalb der Welt oder des eigenen Körpers zu befinden, einen Tunnel zu passieren, einem Licht, mit dem man kommunizieren kann, entgegenzueilen und darin einzutauchen, als ein überwältigendes Gefühl der Liebe, eine Begegnung mit spirituellen Wesen, die hell gleißen, strahlen oder in Weiß gekleidet sind, als Annäherung an eine Art Grenze,
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