Der Fuenf-Minuten-Philosoph
also eine trostvolle Erklärung der Wirklichkeit, durch die das indische Denken über Schwierigkeiten, mit denen das europäische nicht fertig wird, hinausschaut.« Außer trostvoll, so meine ich, liefert diese Erklärung aber auch intellektuell die befriedigendste Antwort auf die Frage: Sind wir nur zum Sterben geboren?
Hat das Leben einen Sinn?
Der Sinn und Zweck unseres Lebens ist eng mit dem des gesamten Universums verknüpft. Da wir als Teil des Ganzen denselben physikalischen Gesetzen wie die zahllosen Galaxien des Kosmosgehorchen, ist unwahrscheinlich, dass unser Leben einen von allem Übrigen abgekoppelten Sinn habe. Für die unbeseelte materielle Welt ließe sich ein Sinn dahingehend konstruieren, dass sie mit den Prinzipien der Physik übereinstimmt und so an der tätigen Harmonie des Ganzen teilhat. Ein solcher »Sinn« entspränge den Naturgesetzen, auch wenn dieser Ausdruck deren Funktionsweisen vielleicht nicht am besten beschreiben kann. Für die Menschheit knüpft sich Sinn an das Bewusstsein. Wenn wir die Bedeutung unseres Lebens betrachten, tun wir dies mit dem Wissen, dass die physikalischen Gesetze unserer allumfassenden Umwelt unsere Verhältnisse bestimmen. Und dass uns in diesem kosmischen Umfeld unsere Erbinformation weitere Grenzen setzt. Niemand hat als Bestimmung die eigene Geburt angestrebt oder es in der Hand gehabt, auf die Welt zu kommen. Das Leben wurde uns als Ablauf aufgezwungen. Wir können es entweder so leben, als habe es keinen Sinn, oder ihm einen Sinn geben oder einen suchen.
Nach religiöser Auffassung besteht der wichtigste Sinn des Lebens darin, eine enge Beziehung zu Gott oder dem Göttlichen zu pflegen. Die meisten Religionen lehren, dass dieser Vereinigung Barrieren entgegenstehen, seien es, wie die biblischen Religionen hervorheben, die Sünde oder, wovor östliche Religionen warnen, die Unwissenheit und die Illusion. Die Mittel, mit denen diese Hürden überwunden werden sollen, geben dem Leben einen anspornenden Zweck. Aber ein weiterer, ebenso wichtiger Punkt steht auf der Agenda: die sittliche Dimension des Lebens, der »Anspruch«, nach bestimmten ethischen Normen zu leben, um unseren Platz in den Rängen des Guten zu behaupten. Wir werden ermuntert, für andere wie für uns selbst zu leben. So gab Selbstlosigkeit, ob religiös oder weltlich motiviert, dem Leben von jeher einen Sinn. Viele andere Faktoren mögen unserem Leben einen Sinn geben, nicht zuletzt den, dass wir gerade nicht danach streben, für einen Zweck zu leben, sondern Sinn in unser Leben zu tragen. Deswegen fragen wir nicht danach, warum um Himmels willen wir auf die Welt gekommen sind,sondern wie wir uns am besten verhalten, solange wir in ihr leben. Ein chinesisches Sprichwort drückt es so aus: »Das Wunder besteht nicht darin, durch die Lüfte zu fliegen oder über Wasser zu schreiten, sondern auf der Erde zu gehen.« Wo und wie wir dies tun, liegt vornehmlich im eigenen Ermessen. Manche meinen, wir seien auf der Welt, um uns selbst und andere kennenzulernen oder um diese Welt in unserer kurzen Lebenszeit zu verbessern. Wir arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten. Und dann gibt es noch diejenigen, welche nach dem Glück streben, die Hedonisten, die sämtliche Freiräume zwischen Essen und Schlafen auf möglichst interessante und angenehme Weise nutzen wollen. Wir werden geboren, und wir sterben, aber dazwischen, so ein jüdisches Sprichwort, sind ein Happen und ein Getränk ganz nützlich.
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»Unser Geist ist endlich, und doch sind wir selbst unter diesen Umständen der Endlichkeit von unendlich vielen Möglichkeiten umgeben. Der Sinn des Lebens besteht darin, uns aus dieser Unendlichkeit möglichst viel herauszupicken.«
Alfred North Whitehead (1861–1947)
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Der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus (1913–1960) warnte: »Wenn man nach dem Sinn des Lebens sucht, wird man nie leben.« Ist dies einer der Fälle, in denen eine ausufernde Beschäftigung mit einer Frage die Antwort erschwert? Wie dem auch sei, Friedrich Nietzsche hat wohl recht: »Wenn wir wissen, warum wir leben, werden wir nie ein Problem damit haben, wie wir leben sollen.«
Können wir je wirklich glücklich sein?
Glück ist ein Gemütszustand, der von der Einstellung, der Veranlagung und dem Temperament abhängt. Kein Mensch kann dasselbe Glück wie ein anderer empfinden, aber das Glück einesjeden kann zu dem eines anderen beitragen, wie es auch dessen Unglück schmälern kann. Auch
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