Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Materialismus: »Der Materialismus lässt alles plump und steinern werden. Er macht alles vulgär und verfälscht jede Wahrheit.« Auch wenn diese Kritik übertrieben erscheint, so warnt Amiel mit Recht vor den Gefahren. Der Glaube, wonach materielle Dinge einen letztgültigen Wert und Sicherheitbieten könnten, engt das Leben in seiner Bedeutung ein und stumpft uns ab. Er entwertet andere Werte wie philosophische Neugierde und persönliche Spiritualität oder Eigenschaften wie Schönheit, Seelenruhe und Bescheidenheit. Aus dem Materialismus ziehen wir nur eine kurzlebige Befriedigung, wie schon Mark Twain (1835–1910) meinte: »Jedes sogenannte materielle Ding, das man begehrt, ist nur Symbol: Man will es nicht um seiner selbst willen, sondern weil es die Seele für den Augenblick befriedigt.«
Als den erkennbarsten Aspekt des Hypermaterialismus prägen unsere Kultur High-Tech-Erzeugnisse, insbesondere massenhaft vertriebene Konsumprodukte wie Fernseher, PCs, Tablet-Computer, Mobiltelefone, Smartphones oder Fahrzeuge aller Art. Mit dem Verkauf von Technikgeräten, die zum Beispiel in der Medizin, der Bildung oder Forschung eingesetzt werden, werden gigantische Gewinne erzielt. Doch dabei stellt sich die Frage, welche Risiken technische Errungenschaften bergen und ob manche Verwendungen nicht der menschlichen Natur zuwiderlaufen. Der Transhumanismus ist eine Bewegung, die propagiert, dass mit Technik alle Behinderungen, alles Leiden und sogar das Altern ausgemerzt werden könnten, in einem Ausmaß, dass selbst die Unsterblichkeit in greifbare Nähe zu rücken scheint. Dazu setzt die Forschung auf die Biotechnologie und die aufstrebende Disziplin der Nanotechnologie, die auf eine Beherrschung der Materie auf molekularer und atomarer Ebene zielt. Gefährdet der Transhumanismus, der die Materie ganz dem menschlichen Willen unterwerfen will, unser menschliches Wesen? Vernor Vinge (* 1944), emeritierter Professor für Mathematik an der University of San Diego, schrieb 1983 dazu: »In dreißig Jahren werden wir die technischen Mittel haben, um übermenschliche Intelligenz zu erzeugen. Kurz danach wird die menschliche Ära enden.« Dieser technologische Aspekt des Hypermaterialismus lässt den Menschen als ein Artefakt erscheinen, dessen natürliche Evolution durch künstliche Eingriffe weiter vorangetrieben werden muss. Wird ein solch übertriebener Materialismus zur Entwicklung einer Spezies von Dr. Spocks führen, zu hochleistungsfähigen und hyperlanglebigen menschlichen Wesen, denen Gefühle und Empfindungen aber fehlen?
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»Die Welt wird heutzutage immer materialistischer. Die Menschheit strebt auf den höchsten Gipfel des äußerlichen Fortschritts, getrieben von einem unstillbaren Verlangen nach Macht und großem Besitz.«
Seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama (* 1935)
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Müssen wir die Dinge nehmen, wie sie sind?
Seitdem es bewusstes Denken gibt, ist das Streben nach Wissen und Erkenntnis ein Kennzeichen der Menschheit. Es ist so intensiv und beständig, dass man behaupten könnte, es sei uns als wesentlicher Bestandteil unserer Überlebensfähigkeit bei der natürlichen Auslese in die Erbinformation einprogrammiert worden. Aber hier stoßen wir auf ein Paradox: Während wir durch unsere Prägung unfähig sind, Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind, bleibt uns bisweilen nichts anderes übrig. Der Instinkt, immer alles verändern und weiterkommen zu wollen, ist der Wachstumsmotor der Zivilisation. Ohne das Streben, von einer Stufe zur höheren zu schreiten, lebten wir wahrscheinlich noch in Höhlen. Insofern sind wir darauf gepolt, die Dinge so, wie sie sind, niemals hinzunehmen. Wenn wir lernen, wäre es unklug, etwas nur deshalb als richtig anzunehmen, weil es von alters her überliefert ist oder weil wir gelesen oder gehört haben, es sei eben »wahr« oder müsse auf eine bestimmte Weise verstanden oder getan werden. So warnte Krishnamurti: »Jede Akzeptanz von Autorität ist das eigentliche Leugnen von Wahrheit«.
Zu den »Dingen«, die wir akzeptieren sollten, müssen wir natürlich auch uns selbst zählen, was so manchem schwerfallen dürfte. Selbsterkenntnis ist, wie erwähnt, der Schlüssel zu jedem echten Verständnis, auch wenn uns die Suche danach unter Umständen den besten Teil unseres Lebens kosten könnte. Für CarlGustav Jung war es das Erschreckendste, uns selbst vollständig akzeptieren zu müssen, weil wir dabei mit unseren Grenzen und finsteren Seiten konfrontiert werden.
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