Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Wenn dies geschehen ist, müssen wir nach den Worten des Theologen und Religionsphilosophen Paul Tillich (1886–1965) »den Mut zum Sein« aufbringen. In allen Dingen ist Akzeptanz die erste Bedingung des Wandels.
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»Unser gesamtes Leben besteht letztlich darin, uns so zu akzeptieren, wie wir sind.«
Jean Anouilh (1910–1987)
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Die Notwendigkeit, etwas hinzunehmen, betrifft nicht nur uns und unsere unmittelbaren Verhältnisse, sondern auch unsere Erkenntnisse über das Universum. Dank der Wissenschaft haben wir uns von Mythen und religiösen Spekulationen zu einem objektiven Wissen hinbewegt – mit radikalen Veränderungen für unsere Einstellungen und unsere Kultur allgemein. Dieser Wandel bedeutete Emanzipation. Er hat den Geist befreit, der so jeden Gedanken ohne ein Risiko durchdenken kann, dass ihn ein religiöser, politischer oder sozialer Bannstrahl trifft. Aber wie die Israeliten nach der Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft erfuhren, ist Freiheit zuweilen ernüchternd und beängstigend. Es hinzunehmen, dass Mythos, Aberglaube und Orthodoxie ihre Macht verlieren, erweist sich für viele durchaus als schwierig, die den Mut fanden, sich von althergebrachten Überlieferungen und theologischen Darstellungen wie zum Beispiel vom Ursprung des Universums zu lösen. Um solche Glaubensrichtungen, insbesondere um die biblischen Religionen, entstanden daher geistige »Schulen«, die die neuen Erkenntnisse der Evolutionsbiologen und Astrophysiker in ihre Weltsicht einzubeziehen versuchen. Nur die Akzeptanz der Dinge, wie sie wirklich sind, ermöglichte ihnen dieses freie Denken.
Dinge hinzunehmen, kann ein Weg zu echtem Seelenfrieden sein. Akzeptanz heißt nicht, dass wir es an Realismus fehlen lassen oder uns zur Wahrung eines Glaubens oder einer Grundanschauung Scheuklappen überstülpen, weil wir uns vor der Wahrheit fürchten. Ein echtes Geltenlassen kann nüchternen Realitätssinn erfordern, der uns – mit dem buddhistischen Begriff tathata für das wahre Wesen der Dinge gesprochen – dazu auffordert, die Dinge zu sehen, wie sie tatsächlich sind. Buddha lehrte, dass Akzeptanz Transzendenz und Transzendenz Erleuchtung bedeutet.
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DIE SPIRITUALITÄT
»Die Seele wird wie ein Rohdiamant in den Leib eingesetzt und muss geschliffen werden.
Sonst kann sie ihren Glanz niemals entfalten.«
Daniel Defoe (1660–1773)
»Wir sind keine menschlichen Wesen mit einer spirituellen Erfahrung, sondern spirituelle Wesen mit einer menschlichen Erfahrung.«
Pierre Teilhard de Chardin (1881–1955)
W as ist Geist?
Der lateinische Begriff spiritus, aus dem sich Spiritualität ableitet, wird am häufigsten mit einer Kraft in Verbindung gebracht, die alles Lebendige beseelt, oder mit der Vorstellung von einem körperlosen Wesen, das sich uns offenbaren kann. Das mit spiritus zusammenhängende englische Wort spirit bezeichnet zugleich Gespenster, Phantome, Poltergeister oder übernatürliche Mächte, die von einer Person oder einem Ort Besitz ergreifen. Aber spirit taucht auch als Übersetzung des deutschen Begriffs Geist in dem Sinn auf,wie ihn der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) gebrauchte. Für Hegel hat der Geist ein Sein an sich, weshalb er ein »Ich« ist. Hegel verwies auf drei Arten des Geistes: den subjektiven, den objektiven und den absoluten. Der subjektive Geist ist der von Beziehungen unabhängige Aspekt einer Person, der sich mit Vorstellungen wie Bewusstsein, Erinnerung, Denken und Wille befasst. Der objektive Geist ist die Person in Beziehung zu anderen, beschäftigt mit dem, was rechtlich wie moralisch »richtig« ist. Der absolute Geist befasst sich mit Kunst, Religion, Philosophie und dem »Unendlichen«, hier nicht als ein grenzenloser Geist zu verstehen, sondern als einer, der, wie Hegel es treffend formulierte, »von der Selbstentfremdung zu sich selbst zurückgekehrt ist«. In dieser Form sind die drei Aspekte des menschlichen Geistes zu einem Ganzen vereint.
Unsere abendländische Kultur hat zwischen Geist und Materie stets scharf geschieden und so Seele und Körper, Geist und Fleisch in einen Gegensatz gesetzt. Die Bibel und das Christentum prägten unser Denken so stark, dass sich diese Unterscheidung in unserer Kultur zu einem unversöhnlichen Dualismus auswuchs. Für Christen sind Körper und Geist entgegengesetzte Wesenheiten: Der Körper stirbt, während die Seele unter bestimmten Voraussetzungen ewig lebt. In unserer Seele tobteine Art Bürgerkrieg –
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