Der Fuenf-Minuten-Philosoph
ist, als eine Ursache, die von ihrer Wirkung getrennt ist, als ein Sein, dass einen bestimmten Raum und eine endlose Zeit hat. Er ist ein Sein, nicht das Sein-Selbst …«
Paul Tillich (1886–1965)
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Es ist unwahrscheinlich, dass wir uns den Begriff »Gott« in einer Gesellschaft, in der mehrere Religionen und Kulturen koexistieren, auf sinnvolle Weise zurückerobern können. Wir können wohl nie zu einem Konsens gelangen, der die Hoffnung nährte, dass wir über denselben Gegenstand reden. Dies wäre wohl auch gleichgültig, wenn so manche Religion ihr Mandat »zur Evangelisierung«, die Vorstellung aufgeben würde, dass alle überzeugt werden müssen, sich einer ganz bestimmten orthodoxen Vorstellung von Gott anzuschließen. Zu Recht hob der römisch-jüdische Historiker Flavius Josephus (37 – um 100 n. Chr.) – mit einer für seinen Glauben und seine Zeit erstaunlichen Offenheit – hervor, dass »jeder Gott nach seinen Vorlieben verehren sollte, ohne dass auf ihn Zwang ausgeübt wird«. Menschen folgen sogar innerhalb der traditionellen Strömungen der Religion ihren persönlichen Vorlieben. Dies würde auch dann noch gelten, wenn wir einen liberalen Konsens darüber erzielten, was das Wort »Gott« bedeutet. Auch innerhalb jeder Religionsgemeinschaft bliebe diese Bedeutung etwas Subjektives und Persönliches.
Es heißt oft, wenn wir das Wort »Gott« gebrauchen, reden wir alle in jedem Fall doch über denselben Gegenstand, dennsein großes und sogar widersprüchliches Bedeutungsspektrum liefe doch auf den einen Glauben hinaus, wonach im Kern von allem ein »unbewegter Beweger«, eine »erste Ursache«, eine »Lebenskraft«, das Mysterium tremendum, der Schöpfer und Erhalter von allem stehe.
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»Ich weiß nicht, ob es Gott gibt, aber für seine Reputation wäre es besser, wenn es ihn nicht gäbe.«
Jules Renard (1864–1910)
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Gibt es einen Gott?
Was mit diesem Begriff auch gemeint ist: Die oben stehende Erörterung setzt voraus, dass es Gott irgendwie gibt. Diese ewige Debatte um die Existenz Gottes geriet in jüngerer Zeit mit dem Erscheinen von Richard Dawkins Buch ›Der Gotteswahn‹ wieder stärker in den Fokus . Diejenigen, die der Ansicht sind, dass es Gott nicht gibt, verweisen darauf, dass für das Dasein irgendeines höheren Wesens, insbesondere des Schöpfergottes der Bibel, keinerlei nachprüfbarer Beleg vorliege. Heutzutage haben sich die Evolutionsbiologie und die Astrophysik das Konzept Gottes insofern einverleibt, als sie befriedigend jene Anstöße erklären, die einst der göttlichen Allmacht zugeschrieben wurden. Voltaire (1694–1778) verkündete bekanntermaßen: »Wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.« Wenn man Gottes Lebenslauf schriebe, so der Gedanke, könnte man die Geburtsstunde des Schöpfers wohl in eine Zeit legen, in der unsere fernen Vorfahren voller Angst und Ehrfurcht und mit dem Bedürfnis nach einem höheren Wesen, das ihnen Beistand leistete, erste Fragen zu der feindlichen Umwelt stellten, in der sie ums nackte Überleben kämpften. Die Vorstellung von einem oder mehreren Göttern, die sich in der Natur manifestierten, diente ihnen als eine Antwort.
Hatten die frühen Menschen ihren primitiven Glaubensformen noch aufrichtig angehangen, so gingen spätere Gebildete dieFrage nach der Existenz Gottes eher spielerisch an und sicherten sich dabei nach allen Seiten hin ab. Blaise Pascal (1623–1662), der französische Philosoph und Mathematiker, schlug in seiner berühmt gewordenen Wette folgendes vor: Auch wenn wir die Existenz Gottes nicht beweisen können, sollten wir uns so verhalten, als existiere er. So hätten wir alles zu gewinnen, aber nichts zu verlieren. Derselben Meinung war Albert Camus: »Ich würde mein Leben lieber leben, als gäbe es Gott, und nach dem Tod feststellen, dass es ihn nicht gibt, als so zu leben, als gäbe es ihn nicht, und nach dem Tod feststellen, dass er doch existiert.«
Der Gedanke, sich mit Blick auf die Existenz Gottes alle Möglichkeiten offenzuhalten, spricht für eine eher unernste Haltung in der Frage. Und die meisten, die sich auf diese Debatte einlassen, empfinden einen Agnostizismus, mit dem man sich in die Hände des Schicksals begibt, eher als unbefriedigend, weil dieser ein offenes Denken voraussetzt.
Wenn Menschen sagen: »Ich glaube an Gott« – so im apostolischen Glaubensbekenntnis oder bei anderer Gelegenheit –, muss ein Atheist dann glauben, dass sie verblendet seien? Ein Einzelner
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