Der Fuenf-Minuten-Philosoph
eine geregelte »Ernte« an brillanten Wissenschaftlern, Künstlern oder Handwerkern heranzüchten lässt.
Warum begehren wir materielle Dinge?
Wenn wir diese Frage einem Philosophen, einem Soziologen, einem Anthropologen und einem Evolutionsbiologen vorlegen, erhalten wir vier verschiedene Antworten, aus denen wir Folgendes herausziehen können:
Unabhängig von Bedürfnissen werden unsere Wünsche nach Dingen wahrscheinlich mit den Geschenken geweckt, die wir in frühester Kindheit erhalten. Gaben schenken uns Freude. Sie zeigen uns an, dass wir, eine Zeit lang zumindest, jemandes Aufmerksamkeit und Zuwendung genießen. Und je mehr sie unseren Vorlieben entsprechen, desto größer ist unsere Begeisterung. Sobald wir über eigenes Geld verfügen, legen wir bei unseren Konsumwünschen einen höheren Gang ein und befeuern mit ihnen die Wirtschaft. Wir kaufen Dinge, um mit den Müllersvon nebenan mithalten zu können, um unser Selbstwertgefühl aufzupolieren oder um mit unserem Lebensstandard Flagge zu zeigen. Selbst wenn wir vieles, was wir erwerben, gar nicht brauchen, ziehen wir gerade aus solchen überflüssigen Käufen große Befriedigung.
----
»Ich wandle gerne unter den schönen Dingen, die die Welt zieren, aber privaten Wohlstand oder jede Art persönlichen Besitzes muss ich meiden, denn sie würden mir meine Freiheit rauben.«
George Santayana (1863–1952)
----
Eingehender betrachtet, auf psychologischer Ebene, gibt der Wunsch nach Materiellem immer noch Rätsel auf. Wie die Wissenschaftsjournalistin Melinda Wenner Moyer (* 1978) hervorhebt, »können wir vielleicht vorhersagen, wie wir uns unter bestimmten Umständen verhalten werden, oder wissen, dass wir in bestimmten Situationen klare Vorlieben zeigen. Aber wir wissen sehr wenig darüber, woher diese Neigungen stammen.« Unser sogenannter »Status«, unsere Stellung unter unseresgleichen oder allgemein in der Gesellschaft, wird auch durch unsere Habe – so durch unser Auto, unser Haus und unsere Kleidung – bestimmt. Wir begehren Dinge, weil wir aus ihrem Besitz Selbstvertrauen und auch ein Gefühl der Sicherheit ziehen, das aus der Gewissheit hervorgeht, dass wir über unser Eigentum volle Kontrolle und Verfügungsgewalt besitzen.
Der wachsende Wunsch nach Materiellem kann auch zur Obsession werden und dabei unsere Werteordnung durcheinanderbringen. Wir wollen wie besessen immer dann mehr haben, wenn wir den Status Quo und das, was wir schon besitzen, nicht genießen können. Wodurch diese Unersättlichkeit ausgelöst wird und warum wir auch jenseits des Nutzens Dinge begehren, ist noch nicht vollständig geklärt. Der amerikanische Soziologe Dalton Conley (* 1969) merkte in der populärwissenschaftlichen Fachzeitschrift ›New Scientist‹ an: »Soziologen, Evolutionspsychologen und Wirtschaftswissenschaftler haben verschiedene Vorstellungen darüber, was unsere Vorlieben steuert, aber dieser Frage ist bislang noch keiner auf den Grundgegangen.« Das Problem des schier unstillbaren Verlangens nach Dingen ist uralt. So meinte schon der katholische Priester und Humanist Erasmus von Rotterdam (1466–1536): »Heutzutage hat die Gier nach Besitz eine solche Größe erreicht, dass es nichts im Reich der Natur gibt, sei es heilig oder profan, aus dem sich kein Gewinn herausschlagen ließe.«
Manchen wird die aufgehäufte Habe gar zur drückenden Last. Sie sind von ihrem Besitz besessen – »ein Streben …, das die Menschen mehr als alles andere an einem freien und erhabenen Leben hindert«, wie Bertrand Russell es formulierte.
Ist der Hypermaterialismus eine Gefahr für uns?
Nach dem philosophischen Materialismus ist alles Seiende selbst Materie oder es hängt von der Materie ab. Die Abhängigkeit der Menschen vom Materiellen allgemein führt dazu, dass sie sich von Dingen und materiellen Bestrebungen so sehr abhängig gemacht haben, dass höhere oder geistige Werte erodieren. Das brachte viele dazu, den Materialismus als solchen infrage zu stellen und sich der Gefahren bewusst zu werden, die er mit sich bringt. Ein zwanghaftes Streben nach materiellen Gütern hat eine Kultur hervorgebracht, in welcher der Sinn und die Werte des Lebens auf der Anschauung beruhen, dass nichts außerhalb der Reichweite unserer Sinne erstrebenswert sei. Unsere Produktion und unser Konsum sind die beiden Kerngrößen, zwischen denen sich unser Leben, Streben und Sein abspielt.
Der Schweizer Philosoph Henri-Frédéric Amiel (1821–1881) wetterte gegen den
Weitere Kostenlose Bücher