Der Fuenf-Minuten-Philosoph
ambitionierteren Ziel, einen weltumspannenden islamischen Staat zu schaffen, in dem das islamische Rechtssystem der Scharia herrscht. Diese Art Fundamentalismus wird inzwischen weithin mit den politischen Bestrebungen des Terrorismus im Nahen und Mittleren Osten gleichgesetzt, auch wenn offensichtlich nicht alle diese Islamisten Terroristen sind.
Einfach gesagt, gibt der Fundamentalismus Überzeugungen, Verhaltensweisen und Werten ein autoritäres Fundament. Er bietet Menschen eine Absicherung gegen unbequeme Fragen und anders lautende Argumente sowie eine Rechtfertigung, um ihre Sache gegen jede Kritik und Anfechtung weiter zu verfolgen. Auf politischer Ebene ist dies leicht nachzuvollziehen: Menschen, die sich für ihre Ideale begeisterten – sei es für die verbrecherische Ideologie des Nationalsozialismus oder für die fortschrittliche der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung –, wurden von klaren und eindeutigen Vorstellungen motiviert und angespornt. Im Reich der Religion haben die Menschen vielfältige Bedürfnisse, nach denen sie ihre jeweilige Ausrichtung wählen. Ein autoritäres Lehrgebäude ist, psychologisch gesehen, für diejenigen attraktiv, die nach einfachen Antworten und präzisen Anweisungen verlangen. Ihnen bieten fundamentalistische religiöse Anschauungen eine »sichere« Zuflucht, was erst dannProbleme bereitet, wenn sie aus ihr heraustreten und andere überzeugen wollen. Denn wie der Religionsphilosoph und einstige Präsident Indiens Sarvepalli Radhakrishnan (1888–1975) hervorhob: »Nicht Gott wird verehrt, sondern die Gruppe oder Autorität, die in Seinem Namen zu sprechen behauptet.«
Die Grundkritik an den Fundamentalisten lautet, dass sie zum Schutz ihres Glaubens den Verstand ausschalten. »Religiöse Fundamentalisten sind wild entschlossen, die wissenschaftliche Bildung Zigtausender unschuldiger, gutmütiger, wissbegieriger junger Geister zu ruinieren«, sagt Richard Dawkins, der Autor von ›Der Gotteswahn‹ . Aus Sicht des gesunden Menschenverstandes wirft die wörtliche Auslegung sakraler Schriften zudem eine andere Art Problem auf, wie Judith Hayes, Autorin von ›The Happy Heretic‹ (Die glückliche Ketzerin), hervorhob: »Die biblische Erzählung von der Arche Noah ist wohl die unglaubwürdigste Geschichte, die die Fundamentalisten verteidigen müssen. Wo trieb Noah beim Beladen der Arche in Palästina beispielsweise Pinguine und Eisbären auf?«
Was ist Erlösung?
Unser Heil oder unsere Erlösung setzt etwas voraus, von dem wir erlöst werden müssen – nach Lesart der Bibel sind dies die Sünde und ihre Folgen. Soteriologie ist die Lehre vom Heil und der Erlösung des Menschen. Die Notwendigkeit, erlöst oder errettet zu werden, und die Mittel dazu tauchen in den verschiedenen Religionen in unterschiedlicher Form auf. Auf die östlichen Religionen passt hier eher der Ausdruck »Befreiung« als »Erlösung«. Für Christen liegt das Heil darin, die Beziehung zu Gott, die durch den Sündenfall im Garten Eden zerbrach, wieder zu kitten. Jeder kann sich durch seinen Glauben mit Gott aussöhnen, denn es war Gott, »der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete« (2 Kor 5, 19). Dagegen ist es dem Judentumeher um Sittlichkeit und gute Taten in diesem Leben als um die Mysterien des Jenseits zu tun. Notwendig ist allerdings eine Teschuwa, eine Umkehr, Abkehr von schuldhaftem Verhalten oder Buße, wie sie zu Jom Kippur, dem Versöhnungstag, zelebriert wird. Es heißt, die Juden seien so sehr mit dem eigenen Überleben in dieser Welt beschäftigt gewesen, dass für eine Beschäftigung mit dem Jenseits die Zeit fehlte. Wohl deshalb vermerkte der Philosoph Moses Mendelssohn (1729–1786): »Das Judentum rühmet sich keiner ausschließenden Offenbarung ewiger Wahrheiten, die zur Seligkeit unentbehrlich sind.« Und ähnlich stehen auch in der Theologie der Muslime Heil und Erlösung eher im Hintergrund. Der Sinn des Lebens ist es, so zu leben, dass es Allah gefällt: »Verheißen hat Allah denen, die glauben und das Rechte tun, Verzeihung und gewaltigen Lohn«, heißt es im Koran (5, 9).
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»Drei Dinge sind für das Heil des Menschen notwendig: zu wissen, was er glauben soll, zu wissen, was er begehren soll, und zu wissen, was er tun soll.«
Thomas von Aquin (1225–1274)
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In den östlichen Überlieferungen dreht sich das Konzept weniger um Erlösung als um Befreiung. Für das Christentum knüpft sich das
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