Der Fuenf-Minuten-Philosoph
Kraft sind, setzt voraus, dass ihre »Richtigkeit« auf Werten beruht, die universeller sind als die Prinzipien der Religion – zum Beispiel der Abrahamitischen –, aus der sie stammen.
Es scheint, als herrsche in der säkularen Gesellschaft die Einstellung vor, dass bestimmte Werte gälten, unverzichtbar seien und gebraucht würden, man aber nicht mehr an die religiösen Quellen glaube, aus denen sie hervorgegangen sind. Der säkulare Humanismus hat auf Gott verzichtet, aber am Großteil des ethischen Systems festgehalten, dessen Werte einstmals als gottgegeben gegolten hatten. Er teilt die von Blaise Pascal geäußerte Skepsis: »Nie tun Menschen Böses so gründlich und glücklich wie aus religiöser Überzeugung.« Aber aus welcher Überzeugung heraus tun sie Gutes?
Worauf sollen sich die Gesetze stützen, wenn nicht auf die Religion? Frédéric Bastiat (1801–1850), ein französischer liberaler Theoretiker, mahnte: »Wenn Recht und Moral einander widersprechen, dann steht der Bürger vor der grausamen Alternative, entweder das moralische Empfinden oder den Respekt vor dem Gesetz zu verlieren.« Wenn wir uns von derReligion verabschieden, müssen wir sicherstellen, dass unsere Gesetze moralisch einwandfrei sind. Und wenn wir zu religiösen Prinzipien keine Alternativen finden, die dafür garantieren, sollten wir sie als Grundlage des Rechts vielleicht besser beibehalten.
Eine Alternative ist der Naturalismus, aus dem, so die Argumentation, das Naturrecht hervorgehe. Cicero definierte das Naturrecht so: »Das wahre Gesetz ist freilich die rechte Vernunft im Einklang mit der Natur, ist in alle zerstreut, beständig, ewig, um durch Befehlen zur Pflicht zu rufen und durch Verbieten vom Betrug abzuschrecken.« Da wir als Menschen geboren seien, so die These, habe die Natur dem Geist die Regeln des sittlichen Verhaltens eingeprägt. Dazu gehören die moralische Notwendigkeit, Mitgefühl und die Beachtung der grundlegenden Rechte anderer, Regeln, die das Gewissen umsetzt. Auch wenn derlei Gedanken, beginnend mit den griechischen und römischen Philosophen, bis weit in die Vergangenheit zurückreichen, befreit uns das Naturrecht nicht notwendigerweise vom religiösen Präzedenzfall, da es nicht ausschließt, dass der Mensch, »betrachtet als Kreatur, notwendigerweise den Gesetzen des Schöpfers gehorchen muss«, so der britische Rechtswissenschaftler William Blackstone (1723–1780). Allerdings hat die »Kreatur« nur für diejenigen einen Schöpfer, die einen religiösen Glauben haben, weshalb denn auch die Humanisten glaubwürdig argumentierten, dass ein inneres Empfinden für sittliche Gesetze so natürlich und selbstverständlich sei wie das Gravitationsgesetz. Jeremy Bentham (1748–1832), der als Begründer des klassischen Utilitarismus gilt, hielt das Naturrecht für ein Täuschungsmanöver und Menschenrechte für »Unfug auf Stelzen«. Wie er behauptete, habe »die Natur die Menschheit der Herrschaft zweier souveräner Herren unterstellt, dem Schmerz und der Lust«. Unter dieser Prämisse verordnete er, dass wir die sittliche Richtigkeit oder Falschheit eines Tuns daran bemessen sollten, inwieweit sie Schmerz verringerten und Lust mehrten. Auch wenn das Naturrecht und der Utilitarismus Probleme bergen, auf die hier nicht eingegangen werden kann,bieten sie als Grundlage für ein sittliches Gesetz eine Alternative zur Religion. Aber wie schon gesagt, hielten weltliche Gesetzgeber und Regierungen in dieser Entscheidung immer dann an religiösen Prinzipien fest, wenn sie sich als nützlich erwiesen. Etwas zu einfach machte es sich vielleicht Thomas Jefferson (1743–1826), als er in seiner Rede zum Amtsantritt als 3. Präsident der Vereinigten Staaten als Goldene Regel für die Gesetzgeber vorschlug, »die Menschen davon abzuhalten, anderen Schaden zuzufügen, und sie [ansonsten] frei ihren Geschäften nachgehen zu lassen«.
Kann ein Rechtsbruch manchmal richtig sein?
Recht zu brechen, ist wohl nur dann richtig, wenn dieses Recht vom Einzelnen oder einer Gruppe verlangt, gegen die Moral oder sein Gewissen zu verstoßen. Häufig zitierte Beispiele solcher Situationen sind die Befehle der Nationalsozialisten, Juden keinen Unterschlupf zu gewähren und sie den Behörden auszuliefern, oder die Gesetze der Apartheit in Südafrika. Auch wenn jemand das Recht aus moralischen Bedenken bricht, bleibt er vor Strafverfolgung nicht verschont. So wird beispielsweise eine Verweigerung des
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