Der fünfte Attentäter: Thriller (German Edition)
Präsident Wallace hält sich daran?«, erkundige ich mich.
»Er ist bislang nur einmal hier gewesen. Einige Präsidenten beten eben mehr als andere. Aber alle Präsidenten wollen ein Teil der Geschichte sein.« Während er das sagt, deutet er auf die Bank. Auf dem Boden sieht man vier Knieschoner mit geklöppelten Kissen, auf denen die Leute beten. Und auf jedem Kissen ist mit goldenen Buchstaben ein anderer Name eingestickt: George W. Bush. Barack Obama. Leland Manning. Und auch ein uraltes Kissen, das erste, von vor zweihundert Jahren. James Madison.
»Wo ist das Kissen für Präsident Wallace?«
»Ein Kissen bekommt man erst, wenn man aus dem Amt scheidet«, erklärt Hayden. Er treibt uns immer noch an, während er zum hinteren Teil des Raumes geht. Die Zahl der Kissen in den Bänken nimmt immer mehr zu. Ronald Reagan. Woodrow Wilson. Bill Clinton. Harry Truman. Irgendwann einmal kam jeder von ihnen in diese Kirche und hat vor Gott das Knie gebeugt. Eine Geste der Demut. Aber als ich mir unseren derzeitigen Präsidenten vorstelle und die Macht, die er gegen mich einzusetzen droht … Ich wage nicht, auch nur darüber nachzudenken.
Wir erreichen die letzte Bank. Die beiden letzten Bankreihen sind ebenfalls mit Polizeiband abgesperrt, weil hier der Mörder seinen ersten Schuss auf den Pfarrer abgegeben hat. Weitere Schildchen mit kleinen Pfeilen darauf markieren die Blutspritzer auf den Bänken und dem Holzboden. Diesmal jedoch kenne ich die Bank, die wir vor uns haben … Sie ist berühmter als alle anderen Bänke zusammen.
Die Lincoln-Bank.
Es ist die letzte Bank, die allerletzte Reihe. Damals, in den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, überquerte Abraham Lincoln die Straße vor dem Weißen Haus, schlich sich in diese Bank ganz hinten in der Kirche und verschwand, bevor der Gottesdienst zu Ende war. Auf dem goldenen Schild an der Wand steht: Er kam immer allein.
»Der Mörder hat also von dieser Bank aus auf den Pfarrer geschossen?«, erkundigt sich Totte.
Hayden antwortet etwas, aber ich höre es nicht. Ich betrachte die Bank … die hölzernen Bänke … den harten Holzboden. Aber je genauer ich hinsehe, desto deutlicher merke ich … Irgendetwas stimmt nicht.
»Also gut, ihr habt die Bank gesehen. Können wir jetzt gehen?«, bettelt Hayden.
Ich rühre mich nicht.
»Beecher, was ist los?«, erkundigt sich Totte. »Siehst du etwas?«
Ich antworte nicht.
Neben mir streicht sich Totte mit dem Stift, den er immer noch in der Hand hat, über die Spitze seines Bartes. Er folgt meiner Blickrichtung und lässt den Blick seines guten Auges über die Bank gleiten, hinauf zu dem bunten Glasfenster darüber, dann zu der Rückwand der Kirche, die bündig mit der Rückenlehne der Bank abschließt. Er sieht es immer noch nicht.
»Wir müssen gehen«, erklärt Hayden. »Die Detectives haben von mir verlangt, all unsere Angestellten anzurufen. Sie wollen, dass alle zu Hause bleiben. Wenn sie euch also hier finden …«
»Hayden, ich brauche zwei Minuten«, sage ich ihm.
»Du hast gesagt, es ginge schnell!« Hayden wendet sich an Totte.
» Hayden!« Ich hebe meine Stimme gerade so weit, dass er sich zu mir herumdreht. »Hören Sie mir zu. Wissen Sie, wer Joseph B. Stewart ist?«
Hayden hält verwirrt inne. »Wer?« Er wirft einen Blick über die Schulter. »Ist das ein Gemeindemitglied? »
»Hören Sie mir zu« , wiederhole ich drängend. »In jener Nacht, in der Lincoln im Ford’s Theatre erschossen wurde, war Joseph B. Stewart der einzige Zuschauer, der aufgesprungen und hinter John Wilkes Booth hergerannt ist. Denken Sie einen Moment darüber nach. Der Präsident stirbt. Man hat ihm eine Bleikugel ins Hirn gejagt, die bis hinter sein rechtes Auge gedrungen ist. Natürlich schreien Hunderte von Menschen wie verrückt, aber in diesem Moment fasst sich Joseph B. Stewart ein Herz. Er springt geistesgegenwärtig von seinemSitz in der ersten Reihe auf und hechtet über den Orchestergraben, um Booth zu packen, als der Attentäter über die Bühne rennt. Stewart ist wirklich über die Stuhllehnen gehüpft, während er ihn verfolgt hat. Und, gewiss, Booth ist entkommen. Aber in jenen ersten Tagen nach diesem Mord war Joseph B. Stewart Amerikas Held.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, erkundigt sich Hayden.
»Ich will auf Folgendes hinaus: Heute hat die Geschichte Stewart vergessen, aber als er sich damals dieser Herausforderung gegenübersah, hat er das Richtige getan. Jetzt sind Sie dran, Hayden.
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