Der fuenfte Berg
uns beschlossen, ich war von Kindesbeinen an auf diesen Augenblick hin erzogen und eingehend darauf vorbereitet worden, meinem Mann in jeder Lebenslage zur Seite zu stehen.«
»Hast du ihn geliebt?«
»Ich hatte mein Herz dazu erzogen. Da ich keine Wahl hatte, habe ich mir eingeredet, daß dies der beste Weg sei. Als ich meinen Mann verlor, habe ich mich in die gleichförmigen Tage und Nächte geschickt und die Götter des Fünften Bergs, an die ich damals noch glaubte, gebeten, mich sterben zu lassen, sowie mein Sohn allein für sich sorgen könnte.
Dann kamst du. Ich habe es dir schon gesagt und sage es noch einmal: Von dem Tag an begann ich die Schönheit des Tales zu beachten, die dunklen Umrisse der Berge, die sich gegen den Himmel abhoben, den Mond, der seine Form verändert, damit das Getreide wachsen kann. Viele Nächte lang wanderte ich, während du schliefst, durch Akbar, hörte das Weinen der Neugeborenen, die Gesänge der Männer, die nach der Arbeit getrunken hatten, die festen Schritte der Wachen oben auf der Mauer. Wie oft hatte ich diese Landschaft schon gesehen und nie bemerkt, wie schön sie war? Wie oft hatte ich schon zum Himmel aufgeschaut, ohne zu bemerken, wie weit er war? Wie oft hatte ich schon die Geräusche von Akbar um mich herum gehört, ohne sie als Teil meines Lebens zu begreifen?
Ich verspürte wieder einen unbändigen Willen zu leben. Du sagtest, ich solle die Buchstaben von Byblos lernen, und um dir eine Freude zu machen, tat ich es. Doch dann war ich selber begeistert und entdeckte, daß der Sinn meines Lebens der war, den ich ihm geben wollte.«
Elia liebkoste ihr Haar - zum ersten Mal.
»Warum war es nicht immer so?« fragte sie.
»Weil ich Angst hatte. Doch heute habe ich, während ich auf die Schlacht wartete, die Worte des Stadthauptmanns gehört - und an dich gedacht. Die Angst reicht nur bis dahin, wo das Unabwendbare beginnt. Dann verliert sie ihren Sinn. Und alles, was wir dann noch haben, ist die Hoffnung, daß wir die richtige Entscheidung getroffen haben.«
»Ich bin bereit«, sagte sie.
»Laß uns nach Israel zurückkehren. Der Herr hat mir bereits gesagt, was ich tun soll, und ich werde es tun. Isebel wird ihre Macht verlieren.«
Sie sagte nichts. Wie alle Frauen Phöniziens war sie stolz auf ihre Prinzessin. Wenn sie dort angekommen sein würden, würde sie versuchen, ihren Gefährten umzustimmen.
»Es wird eine lange Reise sein, und wir werden nicht eher rasten können, als bis ich das getan habe, was mir der Herr aufgetragen hat«, sagte Elia, als erriete er ihre Gedanken. »Aber deine Liebe wird meine Stütze sein, und in den Augenblicken, in denen ich des Kampfes für Ihn müde bin, werde ich mich in deinen Armen ausruhen können.«
Der Junge kam mit einem kleinen Beutel über der Schulter angesprungen. Elia nahm den Beutel und sagte zur Frau:
»Jetzt ist es soweit. Wenn du jetzt durch die Straßen von Akbar gehst, präg dir jedes Haus ein und jedes Geräusch. Denn du wirst sie nie wieder sehen und nie wieder hören.«
»Ich bin in Akbar geboren«, sagte sie. »Und ich werde es immer in meinem Herzen bewahren.«
Der Junge hörte es und schwor sich, die Worte seiner Mutter niemals zu vergessen. Sollte er eines Tages zurückkommen, dann würde er die Stadt ansehen, als wäre es ihr Gesicht.
Es war schon dunkel, als der Priester am Fuß des Fünften Bergs ankam. In seiner rechten Hand trug er einen Stab und in der linken einen Beutel.
Er holte das heilige Öl aus dem Beutel und bestrich sich damit Stirn und Handgelenke. Dann zeichnete er mit dem Stab den Stier und den Panther, die Symbole für den Gott des Sturmes und für die Große Göttin, in den Sand. Er sprach die rituellen Gebete. Dann breitete er die Arme zum Himmel, um die göttliche Erleuchtung zu empfangen.
Doch die Götter schwiegen. Sie hatten bereits alles gesagt, was sie zu sagen hatten, und forderten jetzt nur noch die Erfüllung der Rituale. Propheten gab es nirgendwo mehr - außer in Israel, einem rückständigen Land, das sich noch immer in dem Aberglauben wiegte, daß die Menschen mit dem Schöpfer des Universums kommunizieren konnten.
Er erinnerte sich daran, daß Tyrus und Sidon vor zwei Generationen noch mit einem König von Jerusalem namens
Salomo Handel getrieben hatten. Dieser hatte einen großen Tempel errichtet und wollte ihn mit dem Besten ausschmücken, was es auf der Welt gab. Bei den Phöniziern hatte er Libanonzedern bestellt, und der König von Tyrus hatte dafür
Weitere Kostenlose Bücher