Der fuenfte Berg
in die Zukunft. Es geht darum, die eigene Vergangenheit wieder zu erschaffen.«
Der Hirte hatte es jetzt nicht mehr eilig, sein Herz hatte Mitleid mit den Flüchtlingen vor ihm. Da er und seine Familie vom Unglück verschont geblieben waren, war es nur recht und billig, wenn er ihnen half - den Göttern zuliebe. Zudem hatte er schon von dem israelitischen Propheten gehört, der auf den Fünften Berg gestiegen war, ohne vom Feuer des Himmels getroffen zu werden. Alles wies darauf hin, daß ebendieser Mann jetzt vor ihm stand.
»Ihr könnt noch einen Tag bleiben, wenn Ihr wollt.«
»Ich habe das vorher nicht verstanden«, meinte Elia. »Was bedeutet, die eigene Vergangenheit wieder zu erschaffen?«
»Ich habe immer die Leute auf ihrem Weg nach Tyrus und Sidon hier vorbeikommen sehen. Einige klagten, sie hätten in Akbar nichts erreicht, und suchten nach einer anderen Zukunft.
Irgendwann kamen alle wieder hier vorbei. Sie hatten immer noch nichts erreicht, weil sie mit ihrem Gepäck auch das Gewicht ihrer vergangenen Niederlagen mitgeschleppt hatten. Der eine oder andere hatte einen Regierungsposten ergattert oder einen besseren Lehrer für seine Kinder - doch mehr war es nie. Denn ihr Leben in Akbar hatte sie ängstlich gemacht, und es fehlte ihnen an Selbstvertrauen, um sich hinauszuwagen.
Aber es sind hier auch viele erfüllte und begeisterte Menschen vorbeigezogen, die jede Minute in Akbar genutzt und das nötige Geld für die Reise gespart hatten, die sie machen wollten. Für diese Menschen war und ist das Leben ein ständiger Sieg. Und sie konnten wunderbare Geschichten erzählen. Sie hatten alles erreicht, was sie wollten, weil sie die vergangenen Niederlagen abgeworfen hatten.«
Die Worte des Hirten trafen Elia mitten ins Herz.
»Wie es nicht unmöglich ist, ein Leben wieder aufzubauen, so ist es auch nicht unmöglich, Akbar aus den Ruinen neu erstehen zu lassen«, fuhr der Hirte fort. »Man muß nur mit derselben Kraft weitermachen wie zuvor. Und sie nutzen.«
Der Mann blickte ihm ins Gesicht.
»Wenn Ihr eine Vergangenheit habt, die Euch nicht befriedigt, dann vergeßt sie jetzt«, fuhr er fort. »Erfindet eine neue Geschichte für Euer Leben und glaubt daran. Konzentriert Euch nur auf die Augenblicke, in denen Ihr erreicht habt, was Ihr wolltet - und dann wird diese Kraft Euch helfen, zu erreichen, was Ihr Euch wünscht.«
>Es gab eine Zeit, da wollte ich Tischler sein und später ein Prophet, der Israel retten würde<, dachte er. >Die Engel stiegen vom Himmel herab, und der Herr sprach zu mir. Bis ich begriff, daß Er nicht gerecht war und seine Beweggründe immer jenseits meines Verständnisses lagen.<
Der Hirte rief seiner Frau zu, daß er nun doch nicht aufbrechen würde. Er war den ganzen Weg zu Fuß nach Akbar gegangen und wollte den Weg nicht noch einmal zurücklegen.
»Habt Dank dafür, daß Ihr uns aufnehmt«, sagte Elia.
»Es kostet nichts, Euch eine Nacht bei uns aufzunehmen.«
Der Junge unterbrach das Gespräch: »Wir wollen nach Akbar zurück.«
»Laß uns bis morgen warten. Die Stadt wird von ihren eigenen Bewohnern geplündert, es gibt dort keinen Platz, an dem wir schlafen können.«
Der Junge blickte zu Boden, biß sich auf die Lippen und weinte wieder nicht. Der Hirte führte beide ins Haus, beruhigte die Kinder und die Frau und verbrachte den Rest des Tages mit belangloseren Gesprächen, um sie auf andere Gedanken zu bringen.
Am nächsten Tag standen sie früh auf, aßen, was die Frau des Hirten ihnen zubereitet hatte, und verabschiedeten sich: »Möge Euer Leben lang sein und Eure Herde ständig wachsen«, sagte Elia. »Ich habe gegessen, was mein Körper brauchte, und meine Seele hat gelernt, was sie noch nicht
wußte. Möge Gott Euch niemals vergessen, was Ihr für uns getan habt, und mögen Eure Kinder niemals Fremde in einem fremden Land sein.«
»Ich weiß nicht, von welchem Gott Ihr sprecht. Der Fünfte Berg hat viele Bewohner«, sagte der Hirte barsch, um dann versöhnlicher fortzufahren: »Erinnert Euch der guten Werke, die Ihr getan habt. Sie werden Euch Mut geben.«
»Ich habe nur wenig Gutes getan und nie von mir aus und aus eigener Kraft.«
»Dann ist es Zeit, mehr zu tun.«
»Vielleicht hätte ich die Invasion verhindern können.«
Der Hirte lachte.
»Selbst wenn Ihr der Stadthauptmann von Akbar wäret, hättet Ihr das Unabwendbare nicht aufhalten können.«
»Vielleicht hätte der Stadthauptmann die Assyrer angreifen sollen, als sie mit wenig Truppen
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