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Der fuenfte Berg

Der fuenfte Berg

Titel: Der fuenfte Berg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coelho
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jemand wird dich schon aufnehmen.«
    »Du bist verletzt. Ich muß deinen Arm pflegen. Vielleicht erscheint ja ein Engel und sagt mir, was ich tun soll.«
    »Du hast keine Ahnung, du weißt überhaupt nicht, was hier los ist!« brüllte Elia. »Die Engel kommen nicht zurück, weil wir gewöhnliche Menschen sind, und alle sind geschwächt durch das viele Leid. Wenn Tragödien geschehen, müssen sich die gewöhnlichen Menschen mit eigenen Mitteln weiterhelfen!«
    Er atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Es brachte nichts, sich zu streiten.
    »Und wie bist du hierher gekommen?«
    »Ich bin gar nicht weggegangen.«
    »Dann hast du also meine Schmach gesehen. Hast gesehen, daß ich hier in Akbar nichts mehr zu tun habe.«
    »Du hast mir gesagt, daß alle Schlachten für irgend etwas gut sind, selbst die, in denen wir geschlagen werden.«
    Er erinnerte sich an den Spaziergang zum Brunnen. Das was gestern gewesen, doch ihm kam es so vor, als seien seither Jahre vergangen. Er hätte gern gesagt, daß schöne Worte nichts gegen Leid vermögen, doch er wollte den Jungen nicht erschrecken und fragte statt dessen:
    »Wie bist du dem Brand entkommen?«
    Der Junge senkte den Kopf. »Ich hatte nicht geschlafen.
    Ich beschloß, die Nacht wach zu bleiben, um zu sehen, ob du und Mama sich in ihrem Zimmer treffen. Ich sah die ersten Soldaten hereinkommen.«
    Elia erhob sich. Er suchte den Felsen vor dem Fünften Berg, wo er an jenem Nachmittag mit der Frau dem Sonnenuntergang zugeschaut hatte.
    >Ich will nicht dorthin gehen<, dachte er. >Ich verzweifle nur noch mehr.<
    Doch eine Kraft zog ihn in diese Richtung. Als er dort angelangt war, weinte er bittere Tränen. Wie die Stadt Akbar war auch dieser Ort durch einen Stein gekennzeichnet, und Elia war der einzige im ganzen Tal, dem er etwas bedeutete. Keine neuen Bewohner würden ihn lobpreisen, noch Liebespaare ihn blank reiben.
    Er nahm den Jungen in seine Arme und schlief wieder ein.
    »Ich bin durstig und hungrig«, sagte der Junge zu Elia, als dieser aufwachte.
    »Wir können zu den Hirten gehen, die hier in der Nähe leben. Ihnen wird nichts geschehen sein, da sie nicht in Akbar wohnen.«
    »Wir müssen die Stadt wieder aufbauen. Meine Mutter hat gesagt, sie sei Akbar.«
    Welche Stadt denn? Es gab keinen Palast, keinen Markt und keine Mauern mehr. Anständige Leute waren zu Straßenräubern geworden, junge Soldaten hingemetzelt. Die
    Engel würden nicht zurückkehren - doch das war von allem sein geringstes Problem.
    »Glaubst du, daß die Zerstörung, der Schmerz, die Toten von gestern einen Sinn hatten? Glaubst du, daß es notwendig ist, Tausende von Leben zu zerstören, um irgend jemandem irgend etwas damit beizubringen?«
    Der Junge blickte ihn entsetzt an.
    »Vergiß, was ich gesagt habe«, sagte Elia. »Wir werden zu den Hirten gehen.«
    »Und wir werden die Stadt wieder aufbauen«, beharrte der Junge.
    Elia antwortete nicht. Er wußte, daß es ihm nicht gelingen würde, seine Autorität bei einem Volk wieder durchzusetzen, das ihn beschuldigte, Unglück über die Stadt gebracht zu haben. Der Stadthauptmann war geflohen, der Kommandant tot, Tyrus und Sidon würden höchstwahrscheinlich unter fremde Herrschaft fallen. Vielleicht hatte die Frau recht. Die Götter änderten sich immer - und diesmal war es der Herr gewesen, der gegangen war.
    »Wann kehren wir nach Akbar zurück?« fragte der Junge abermals.
    Elia packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn heftig.
    »Blick zurück! Du bist kein blinder Engel, sondern ein Junge, der beobachten wollte, was seine Mutter tat. Was siehst du? Erkennst du die Rauchsäulen, die dort aufsteigen? Weißt du, was sie bedeuten?«
    »Du tust mir weh! Ich will hier weg!«
    Erschrocken hielt Elia inne. Der Junge entwand sich seinem Griff und begann auf die Stadt zuzulaufen. Es gelang Elia, ihn einzuholen, und er kniete vor ihm nieder.
    »Vergib mir. Ich weiß nicht, was ich tue.«
    Der Junge schluchzte, doch keine einzige Träne rann über sein Gesicht. Elia setzte sich neben ihn und wartete, bis er sich beruhigt hatte.
    »Geh nicht«, bat er. »In dem Augenblick, in dem deine Mutter von uns gegangen ist, habe ich versprochen, bei dir zu bleiben, bis du deinen eigenen Weg gehen kannst.«
    »Du hast aber auch versprochen, daß die Stadt unversehrt sei. Und sie hat gesagt...«
    »Du brauchst es nicht zu wiederholen. Ich bin verwirrt, in meiner eigenen Schuld verloren. Gib mir Zeit, daß ich mich selbst wiederfinde. Verzeih mir,

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