Der fuenfte Berg
ihrem Sohn genauso verfahren. Sie ging zu der Stelle, wo einst ihr Haus gelegen war. Beinahe alles war von den Plünderern auf der Suche nach wertvollen Gegenständen auf den Kopf gestellt worden, und ihre Sammlung von Vasen, die von den großen Glasbläsermeistern Akbars gemacht worden waren, lag in Scherben auf dem Boden. Doch sie fand die getrockneten Früchte und das Mehl, das sie gehortet hatte.
Sie kehrte zum Platz zurück und teilte die Nahrung mit Elia. Der Junge schwieg.
Ein alter Mann kam hinzu.
»Ich habe gesehen, daß ihr den ganzen Tag lang Leichen zusammengetragen habt«, sagte er. »Ihr verliert bloß eure Zeit. Wißt ihr denn nicht, daß die Assyrer zurückkommen werden, wenn sie Tyrus und Sidon erobert haben? Soll doch der Gott der Pest hier wohnen, um sie zu vernichten.«
»Wir tun das weder für sie noch für uns«, entgegnete Elia. »Sie arbeitet, um ein Kind zu lehren, daß es eine Zukunft gibt. Und ich tue es, um zu zeigen, daß es mehr gibt als nur die Vergangenheit.«
»Der Prophet ist keine Bedrohung für die große Prinzessin aus Tyrus: Das ist aber eine Überraschung! Isebel wird in Israel bis ans Ende ihrer Tage das Szepter führen, und es wird für uns immer einen Zufluchtsort geben, wenn die Assyrer nicht großherzig mit den Besiegten umgehen.«
Elia sagte darauf nichts. Der Name, der einst so viel Haß in ihm geweckt hatte, klang ihm nun seltsam fern.
»Akbar wird so oder so wieder aufgebaut«, beharrte der Alte. »Die Götter wählen den Platz aus, an dem die Städte errichtet werden, und sie lassen die Stadt nicht im Stich.
Doch wir können diese Arbeit kommenden Generationen
überlassen.«
»Das könnten wir. Aber wir tun es nicht.«
Elia wandte dem Alten den Rücken zu und beendete so
das Gespräch.
Die drei schliefen unter freiem Himmel. Die Frau nahm den Jungen in den Arm und spürte, daß sein Magen vor Hunger knurrte. Sie fragte sich, ob sie ihm nicht etwas zu essen geben sollte, doch sie entschied sich dagegen. Die körperliche Müdigkeit minderte tatsächlich den Schmerz, und dieser Junge, der gewiß unendlich litt, mußte eine Beschäftigung haben. Vielleicht würde ihn der Hunger zum Arbeiten bringen.
Am darauffolgenden Tag nahmen Elia und die Frau ihre Arbeit wieder auf. Der Alte vom Vorabend gesellte sich zu ihnen.
»Ich habe nichts zu tun und könnte euch helfen«, sagte er. »Doch ich bin schwach und kann keine Leichen schleppen.«
»Dann sammelt kleine Holzstücke und Backsteine. Fegt die Asche zusammen.«
Der Alte machte sich an die Arbeit.
Als die Sonne die Mitte des Himmels erreicht hatte, setzte sich Elia erschöpft auf die Erde. Er wußte, daß sein Engel bei ihm war, doch er konnte ihn nicht mehr hören. >Wozu? Er war unfähig, mir zu helfen, als ich ihn brauchte, und jetzt will ich seine Ratschläge nicht mehr. Ich muß nur diese Stadt wieder in Ordnung bringen, Gott die Stirn bieten und dann dahin ziehen, wohin ich will.<
Jerusalem lag nicht weit entfernt. Es waren nur sieben Tage zu Fuß durch unwegsames Gebiet. Doch dort wurde er als Verräter gesucht. Vielleicht ging er besser nach Damaskus oder suchte sich eine Arbeit als Schreiber in einer griechischen Stadt.
Er fühlte, daß jemand ihn berührte. Er wandte sich um und sah den Jungen mit einem kleinen Gefäß.
»Ich habe es in einem der Häuser gefunden«, sagte der Junge.
Es war mit Wasser gefüllt. Elia trank es ganz aus.
»Iß etwas«, sagte er. »Du arbeitest und verdienst eine Belohnung.«
Zum ersten Mal seit der Nacht der Invasion erschien ein Lächeln auf den Lippen des Jungen, der wie der Blitz dorthin lief, wo die Frau das Obst und das Mehl verwahrt hatte.
Elia arbeitete weiter, ging in die zerstörten Häuser, räumte die Trümmer weg, packte die Leichen und schleppte sie zum Scheiterhaufen mitten auf dem Platz. Der Verband, den der Hirte um seinen Arm gemacht hatte, war abgefallen, doch das war unwichtig. Er mußte sich selbst beweisen, daß er stark genug war, seine Würde wiederzuerlangen.
Der Alte, der jetzt den auf dem Platz verstreuten Müll zusammenkehrte, hatte recht: Bald würden die Feinde wieder zurück sein und die Früchte dessen ernten, was sie nicht gesät hatten. Elia ersparte den Mördern der einzigen Frau,
die er je geliebt hatte, nur Arbeit, da die Assyrer abergläubisch waren und Akbar so oder so wieder aufbauen würden. Ihr Glaube besagte, daß die Götter die Städte - wie auch die Täler, die Tiere, die Flüsse und die Meere - überall auf
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