Der Fünfte Elefant
Herr.«
Mumm öffnete die Tür des Salons. »Es ist vorbei«, sagte er.
»Hast du jemanden verletzt?«, fragte Sybil.
»Nur Wolfgang.«
»Er wird zurückkehren«, sagte Angua.
»Nein.«
»Hast du ihn getötet?«
»Ich habe ihn unschädlich gemacht. Wie ich sehe, bist du wieder auf den Beinen, Hauptmann.«
Karotte erhob sich ein wenig unbeholfen und salutierte. »Tut mir
Leid, dass ich dir nicht helfen konnte, Herr.«
»Du hast den falschen Zeitpunkt gewählt, um fair zu kämpfen.
Geht es dir gut genug, um mitzukommen?«
»Äh, Angua und ich möchten hier bleiben, wenn du nichts dage-
gen hast, Herr. Wir müssen über gewisse Dinge reden. Und…
äh… nicht nur reden.«
Es war die erste Krönungszeremonie, an der Mumm teilnahm. Er
hatte sie sich anders vorgestellt, seltsamer und voller… Glorie.
Stattdessen war sie ziemlich langweilig. Aber wenigstens handelte
es sich um große Langeweile, die man über Jahrtausende hinweg destilliert und kultiviert hatte, bis sie einen beeindruckenden Glanz bekam, so wie sogar Dreck, wenn man ihn lange genug putzt. Es
war eine Langeweile, die man in die Form einer Zeremonie ge-
hämmert hatte.
Sie eignete sich bestens dafür, die Kapazität einer durchschnittli-
chen Blase zu testen.
Mehrere Zwerge lasen aus uralten Schriftrollen vor. Es klang
nach Auszügen aus der Koboldeanischen Sage, und Mumm fragte
sich verzweifelt, ob ihnen eine weitere Oper drohte. Aber nach nur
einer Stunde ging dieser Teil des Rituals zu Ende. Andere Zwerge
lasen andere Dinge vor. Der König stand allein in einem Kreis aus
Kerzen, und an einer Stelle reichte man ihm einen Lederbeutel,
eine kleine Bergbauaxt und einen Rubin. Mumm wusste nicht, was
es damit auf sich hatte, aber die Geräusche deuteten darauf hin,
dass jedem Gegenstand enorme Bedeutung zukam, zumindest für
Tausende von Zwergen hinter Mumm. Tausende? Es mussten
Zehntausende sein. Die Zwerge bildeten zahl ose Reihen in der
riesigen Höhle. Vielleicht waren es sogar hunderttausend…
Und Mumm stand ganz vorn. Niemand hatte ein Wort gesagt.
Mumm und seine drei Begleiter waren einfach nach vorn geführt
und dort sich selbst überlassen worden. Allerdings wies gelegentli-
ches Murmeln darauf hin, dass die Anwesenheit von Detritus al es
andere als unbemerkt blieb. Überal um sie herum standen alte,
würdevol gekleidete Zwerge mit langen Bärten.
Jemand wurde unterwiesen. Mumm fragte sich, wem die Lektion
galt.
Schließlich brachten sie die Steinsemmel herein. Zwar war sie
nicht besonders groß und auch nicht übermäßig schwer, aber vier-
undzwanzig Zwerge trugen sie auf einer Trage. Vol er Ehrfurcht
legten sie sie auf einen Stuhl.
Mumm spürte, wie sich die Atmosphäre in der gewaltigen Höhle
veränderte, und erneut dachte er: Hier gibt es weder Magie noch
Geschichte, ihr armen Teufel. Ich wette meinen Sold, dass die
Form dieses Objekts auf das Gummi eines Bottichs zurückgeht,
der zur Herstellung von Keinesorges »Sicher und zuverlässig«
diente. Heilige Relikte können einen sehr seltsamen Ursprung ha-
ben…
Erneut wurde vorgelesen, aber diesmal nicht mehr so lange.
Dann zogen sich diejenigen Zwerge zurück, die während der
endlosen und verwirrenden Stunden auf die eine oder andere Wei-
se aktiv geworden waren. Der König blieb allein zurück, wirkte
plötzlich so klein und verlassen wie die Semmel.
Er sah sich um. Im Halbdunkel konnte er Mumm in dem viele
tausend Personen zählenden Publikum bestimmt nicht erkennen,
aber der Botschafter von Ankh-Morpork gewann trotzdem den
Eindruck, dass der Blick des Zwergs kurz auf ihm verweilte.
Der König setzte sich.
Ein Seufzen hob an. Es wurde lauter und lauter, ein Orkan aus
dem Atem einer Nation. Es hal te von den Felswänden wider, ü-
bertönte al e anderen Geräusche.
Mumm hatte halb damit gerechnet, dass die Semmel explodierte
oder zerbröckelte oder plötzlich rot glühte. Aber das ist natürlich
Unsinn, sagte eine leiser werdende Stimme in Mumm. Es ist eine
Fälschung, ein in Ankh-Morpork hergestel tes Ding, das Geld und
mehreren Personen das Leben gekostet hat. Es kann nicht echt sein.
Doch im lauten Rauschen wusste er, dass es Realität war in ei-
nem unerschütterlich festen Glauben, und daraufhin begriff
Mumm. Wahrheit und Fakt waren nicht miteinander identisch.
Das wusste er jetzt, gestern und morgen – das Ding und die Ge-
samtheit des Dings.
Angua merkte, dass Karotte müheloser ging, als sie den Wald
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