Der Fünfte Elefant
Anführer des Rudels.«
»Sag ihm, dass ich nichts dagegen habe, wenn er das Rudel wei-
terhin anführt. Sag ihnen all das.«
Die Wölfe beobachteten Angua aufmerksam. Sie wusste, was ih-
nen durch den Kopf ging. Karotte hatte den Anführer besiegt.
Damit war al es klar. Für Ungewissheit gab es in ihrem Denken nicht viel Platz. Den Luxus des Zweifels konnten sich nur Geschöpfe leisten, die nicht ständig nur eine Mahlzeit vom Hunger-
tod entfernt waren. Im mentalen Kosmos der Wölfe klaffte nach
wie vor ein gavinförmiges Loch, und Karotte hatte es gerade ge-
füllt. Natürlich würde die Wirkung nicht lange anhalten, aber das
war auch nicht nötig.
Er findet immer einen Weg, dachte Angua. Er denkt nicht dar-
über nach. Er plant nicht. Er schiebt sich einfach an die richtige
Stel e. Ich habe ihn gerettet, weil er sich nicht selbst retten konnte, und Gavin rettete ihn, weil… weil… weil er einen Grund dafür
hatte. Ich bin fast sicher, dass Karotte nicht weiß, auf welche Wei-
se er die Welt um sich wickelt. Ja, ich bin fast sicher. Er ist gut und freundlich und dazu geboren, ein König von der alten Art zu sein,
die einst Eichenblätter trug und von einem Sitz unterm Baum aus
regierte. Und sosehr er es auch versucht: Er hat nie einen zyni-
schen Gedanken.
Ich bin fast sicher.
»Lass uns gehen«, sagte Karotte. »Die Krönungszeremonie wird
bald vorbei sein, und ich möchte nicht, dass sich Herr Mumm
Sorgen macht.«
»Karotte! Ich muss etwas wissen.«
»Ja?«
» Das könnte mit mir passieren. Hast du jemals darüber nachgedacht? Immerhin war er mein Bruder. Zwei Wesen gleichzeitig zu
sein, und nie ganz eins… Bei uns gibt es keine innere Ausgegli-
chenheit.«
»Gold und Schlamm kommen aus dem gleichen Schacht«, sagte
Karotte.
»Das ist nur eine Redensart der Zwerge!«
»Aber sie trifft den Kern der Sache. Du bist nicht Wolfgang.«
»Nun, wenn so etwas mit mir passieren würde… Wärst du bereit,
Mumms Beispiel zu folgen? Karotte? Würdest du eine Waffe neh-
men und mich verfolgen? Ich weiß, dass du nicht lügst. Ich muss
es wissen. Wärst du dazu bereit?«
Etwas Schnee rutschte von den Ästen. Die Wölfe beobachteten
al es. Karotte sah kurz zum grauen Himmel empor und nickte
dann.
»Ja.«
Angua seufzte. »Versprochen?«, fragte sie.
Es verblüffte Mumm, wie schnell aus der Krönungszeremonie
wieder Alltag wurde. Hornklänge tönten durch die große Höhle,
die Menge geriet in Bewegung, und es formte sich eine Schlange
vor dem König.
»Man hat ihm nicht einmal genug Zeit gegeben, es sich gemütlich
zu machen!«, sagte Lady Sybil, als sie zum Ausgang schritten.
»Unsere Könige sind vor al em… Arbeitskönige«, meinte Grinsi,
und Mumm glaubte, Stolz in ihrer Stimme zu hören. »Und jetzt
nutzt der König die Gelegenheit, ihnen seine Gunst zu erweisen.«
Ein Zwerg eilte zu Mumm und zog respektvol an seinem Man-
tel.
»Der König wünscht mit dir zu sprechen, Euer Exzel enz«, sagte
er.
»Die Warteschlange ist praktisch endlos!«
»Trotzdem.« Der Zwerg hüstelte höflich. »Der König möchte
dich jetzt sehen. Dich und deine Begleiter.«
Er führte sie zum Beginn der Schlange. Mumm spürte, wie sich
ihm viele Blicke in den Rücken bohrten.
Der König entließ den aktuellen Bittsteller mit einem majestäti-
schen Nicken, als man die Ankh-Morpork-Gruppe geschickt in die
Schlange einfügte, direkt vor einem Zwerg, dessen Bart bis auf den
Boden reichte.
Der König musterte sie einige Sekunden, dann lieferte sein geis-
tiger Aktenschrank die benötigte Karteikarte.
»Ah, du bist es, so gut wie neu«, sagte er. »Nun, was hatte ich
vor? Oh, jetzt fäl t es mir wieder ein… Lady Sybil?«
Sie machte einen Knicks.
»Die Tradition verlangt, dass wir in einer solchen Situation Ringe
schenken«, sagte der König. »Unter uns: Viele Zwerge halten das
für… abgedroschen. Aber ich glaube, dass ein Ring in diesem Fal
willkommen ist. Nimm ihn als ein Symbol für die Dinge, die uns in
der Zukunft erwarten, Lady Sybil.«
Er hob einen dünnen Silberring. Der offensichtliche Geiz ver-
schlug Mumm den Atem, aber Sybil hätte selbst einen Korb mit
toten Ratten würdevoll entgegengenommen.
»Oh, wie wunder…«
»Normalerweise geben wir Gold«, fuhr der König fort. »Es ist
sehr beliebt, und man kann Lieder darüber singen. Aber dies hier
hat… Seltenheitswert. Es ist das erste Silber, das in Überwald seit
vielen hundert Jahren gewonnen
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