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Der Fürst der Maler

Der Fürst der Maler

Titel: Der Fürst der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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erzählen«, murmelte ich, während ich mit dem Silberstift ihre Augen funkeln ließ.
    »Dann erzähl mir alles. Die ganze Heiligenlegende!«
    »Ich bin kein Heiliger …«
    »Das hat Francesco in seinen Briefen auch nie behauptet!«
    »… obwohl ich an einem Karfreitag geboren wurde. Das war 1483. Meine Mutter starb an der Pest, als ich acht Jahre alt war.«
    Sie schwieg. Ihre Mundwinkel entspannten sich. Mit dem Rötelstift zog ich die geschwungenen Umrisse ihres Mundes nach.
    »Als ich neun war, half ich meinem Vater Giovanni Santi in seiner Bottega – seiner Werkstatt. Ich zerrieb Farben, grundierte Bildtafeln, fertigte Pinsel. Bei ihm habe ich malen gelernt in der flämischen Manier des Jan van Eyck. Bei ihm habe ich gelernt, das Sichtbare zu spiegeln.«
    »Das klingt wie Platon …«, lachte sie.
    »Es stehen mehrere von Marsilio Ficino übersetzte Bücher von Platon in der Bibliothek des Palazzo Ducale. Francesco hat sie mir geliehen.
    Als ich zehn Jahre alt war, begleitete ich meinen Vater nach Cagli und Fano, wo er Aufträge für Altartafeln und Fresken angenommen hatte. Die Bottega florierte. Einem Auftrag folgten zwei oder drei andere. Wir gingen nach Pesaro und Senigallia, um dort zu malen, und kehrten erst Monate später nach Urbino zurück.«
    »Du sagtest, du gehörst zur Familie des Herzogs …«
    »Anlässlich der Geburt ihres Sohnes Francesco malte mein Vater für die Schwester des Herzogs, Giovanna Feltria della Rovere, eine Verkündigung für die Kirche Santa Maria Maddalena in Senigallia.
    Ihre Schwägerin, die Herzogin Elisabetta, lernte meinen Vater kennen und ernannte ihn zum Hofmaler. Gerüchten zufolge schätzte sie nicht nur seine Kunst, sondern auch sein Können. Elisabetta schickte Giovanni nach Mantua, wo er ihre Schwägerin, Isabella d’Este, und deren Gemahl, den Marchese Francesco Gonzaga, porträtieren sollte.
    Als mein Vater nach Urbino zurückkehrte, war er krank: in Mantua war die Malaria ausgebrochen. Mein Vater starb, als ich elf Jahre alt war. Onkel Bartolomeo, ein Dominikanerpater, nahm mich auf. Er wollte, dass auch ich Priester werde. Am Weihnachtsabend verließ ich sein Haus. Ich lief weg.«
    »Warum?«, fragte sie atemlos.
    Ich sah nicht auf, als ich ihre Brüste mit dem Kohlestift schattierte und das Licht auf ihrer Haut mit einem Hauch von Silber andeutete. Ihre Hand mit dem Rubinring lag wie schwerelos auf ihrem Bauch. Schließlich antwortete ich: »Onkel Bartolomeo hatte all meine Zeichnungen, die Kohlestifte, die Farben, einfach alles, verbrannt. Er war fanatischer als Fra Girolamo Savonarola, ein alter Freund, mit dem er zusammen Theologie studiert hatte. Mein Fegefeuer der Eitelkeiten fand Jahre vor Savonarolas in Florenz statt. Onkel Bartolomeo verbot mir zu malen.«
    Felice sah mich neugierig an. »Du hast dich nicht daran gehalten.«
    »Maestro Perugino sagte einmal: ›Wenn ein Vulkan ausbricht, ist die Lava nicht aufzuhalten. Wenn Raffaello malt …‹ Das Ende ließ er offen.«
    »Das war kein Kompliment«, schlussfolgerte sie.
    »Nein.« Ich erinnerte mich meiner Auseinandersetzung mit Pietro Perugino und fuhr fort: »Als mein Vater starb, war Pier Antonio Viti der Gonfaloniere – der Bannerträger – von Urbino. Er war ein Freund meines Vaters gewesen. Dessen Bruder Timoteo Viti, ein bekannter Maler, Goldschmied und Musiker, hielt sich damals in Urbino auf, nachdem er aus Bologna zurückgekehrt war. Ich half Timoteo heimlich in seiner Malerwerkstatt, die nur ein paar Schritte vom Haus meines Vaters entfernt lag. Ich fegte die Bottega, holte seine Farben vom Apotheker und kochte für ihn. Ich war sein Modell. Onkel Bartolomeo hat davon nie etwas erfahren.
    Timoteo brachte mir viel bei: die Bezähmung meiner Ungeduld, das Vertrauen auf meine Intuition, die Beharrlichkeit. Er lehrte mich zu erkennen, was ich wirklich wollte: malen!
    Erst die Möglichkeit, unseren Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert. Der Traum hält uns am Leben, wenn er auch nicht satt macht. Am Weihnachtsabend 1494 lief ich weg. Ich ging nach Perugia.«
    »Das klingt so einfach. Du warst erst elf Jahre alt …«
    »Es war ganz einfach«, widersprach ich. »Mach zuerst den ersten Schritt, dann den zweiten. Folge dem Weg, den du vor dir siehst, und lasse dich nicht beirren.«
    Ich sah auf, und unsere Blicke trafen sich. Ihr schien diese Lebenseinstellung nicht fremd zu sein.
    »Am Weihnachtsabend stritten Onkel Bartolomeo und Onkel Simone miteinander. Onkel Bartolomeo

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