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Der Fürst der Skorpione

Der Fürst der Skorpione

Titel: Der Fürst der Skorpione Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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nicht vorstellen, mit einem normalen Kopf in einem trägen Körper eingesperrt zu sein, das fand sie einfach nur Scheiße. Und sie waren schon einmal tot gewesen. Erst tot, dann wiedererweckt, für ein paar Jahre Extraleben. Erst neulich hatte sie im Supermarkt eine Zombiegruppe beim Üben gesehen. Das hatte so furchtbar arm ausgesehen. Die ganzen Drecksjobs, die sie machen mussten. Zombies waren eklig. Das Einzige, was sie derzeit ein wenig aufheitern konnte, war die Tatsache, dass Tanjas Vater in Grönland gefallen war. Sein Eiskäfer war vom Feind umzingelt und mit Enzymwaffen zerstört worden. Tanja hatte jetzt seine beiden Orden (nichts Besonderes), seine Hundemarke, ein paar seiner Zähne (mehr war von ihm nicht übrig geblieben) und zwei Bücher, die man in seinem Spind gefunden hatte. Tanja war so blöd gewesen, den Kram in die Schule mitzubringen (bestimmt ein Tipp ihres Beraters, die kamen immer auf solche Ideen). Bleich, gefasst und ehrlich stolz auf ihren Vater hatte sie alles herumgezeigt. Dabei war die Sache mit den Enzymen so furchtbar eklig. Es kam ja nichts darüber in den Nachrichten, aber Tabea hatte gehört, es bliebe nur Schleim, der erst nach Wochen wegtrocknete, weil er irgendwie noch lebte. Manche behaupteten sogar, dass man aus diesem braunen Schleim noch etwas wiedererwecken konnte, es sei bloß zu teuer.
    Wie alle anderen hatte Tabea Tanja mit traurigem Gesicht die Hand gegeben und »Für uns gefallen!« gemurmelt. Dabei war sie total schadenfroh gewesen, war es jetzt noch. Tanja hatte immer die Nase so hoch getragen, weil sie als eine der wenigen in der Klasse noch einen lebenden Elternteil gehabt hatte. Die Kuh, die blöde. Würde hart für sie werden. Die musste sich erst noch daran gewöhnen, dass sie jetzt wirklich allein war: keine Briefe von der Front mehr, in denen Daddy versprach, dass er bald wiederkommen würde, keine Geschenke mehr, nichts. Tanja musste das schon lange ertragen, und sie kam damit klar. Sie brauchte keinen Zombie. Sie brauchte ein Rollerbike.

SCHLAFLOS
     
     
     
    Er fand, dass es sich ganz gut anließ. Sie war natürlich noch ein wenig unruhig und angespannt, aber beim zweiten Abendessen hatte sie sich schon nicht mehr ganz so verschlossen gezeigt. Und bei Konfliktsituationen fand er im Grünen Buch Rat, genau wie der Entlassungsoffizier gesagt hatte. Er stand immer drahtlos mit dem Heiligen Netz in Verbindung, dem Netz nur für Wiedererweckte. Und als Wiedererweckter hatte er auch immer Zugriff auf das Grüne Buch. Es drehte sich ständig in seinem Kopf. Er musste sich nur vorstellen, wie es sich öffnete, gleichzeitig an eine bestimmte Frage denken, und schon zeigte die aufgeschlagene Seite Ratschläge wie:
    Wenn ihr als Wiedererweckte für Schutzbefohlene zu sorgen habt, dann bedenkt, dass sie wie Vögel sind. Das Futter, das ihr ihnen anbietet, muss in einer ruhigen Hand liegen. Achtet darauf, angenehm zu sein. Man vertraut nicht den Unwirschen und Verschlossenen. Nährt eure Vögel. Scheitern ist keine Alternative.
    Das hatte er beherzigt. Als Tabea am ersten Morgen nicht mit ihm hatte frühstücken wollen, hatte er ihr ein Tablett vors Zimmer gestellt und war sehr zufrieden gewesen, dass sie vor der Schule alles aufgegessen hatte. Er war glücklich, dass sie ohne Murren zur Schule ging. Für ihn selbst war die Schule furchtbar schwer gewesen. Er erinnerte sich an sein Versagen in Mathematik, aber gerade mit diesem Fach schien sie überhaupt keine Probleme zu haben. Weil er ein so schlechter Schüler gewesen war, hatte er nur auf die Militärakademie gehen können. Das war noch vor dem ersten Saharakrieg und der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gewesen. Als er Tabea vorgeschlagen hatte, ihn »Björn« zu nennen, hatte sie nur gelacht. Sie tat es dann trotzdem. Was ein gutes Zeichen war, wie es im Grünen Buch hieß. Bis jetzt war also alles normal. Wenn er es für nötig hielt, konnte er auch noch um eine Audienz beim Heiligen Kind selber bitten. Es war nicht leicht, eine Audienz beim Heiligen Kind zu bekommen, aber auch nicht unmöglich. Andere Wiederweckte hatten ihm schon von Audienzen erzählt. Das Grüne Buch und das Heilige Kind waren die Eckpfeiler seines neu gefundenen Glaubens.
     
     
    Das Stadtviertel, in das man Björn und Tabea gesteckt hatte, war schlechter als das alte. Die Straßen waren enger, es gab weniger Straßenlaternen, und auch tagsüber war es dunkler, weil die Schutzkuppel über diesem Viertel nicht so sauber

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