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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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in schwarzen verschnörkelten Schränken stapeln sich dort die Akten in Reih und Glied, übrigens nur zur Dekoration, denn die Rechtssachen werden ferromagnetisch aufgezeichnet. Auf dem Kopf trug er einen Mnemor, einen zusätzlichen Gedächtnisspeicher in Gestalt einer durchsichtigen Spitzmütze; die Stromstöße hüpften darin umher wie ein Schwärm von Glühwürmchen. Ein kleiner zweiter Kopf mit des Doktors Gesichtszügen aus jüngeren Jahren ragte ihm aus der Schulter und führte ständig halblaute Telefongespräche. Das war ein Filialkopf. Der Doktor fragte nach meinem täglichen Leben. Mit Staunen vernahm er, daß ich keine Reise nach Übersee plane. Und als ich erklärte, daß ich sparen müsse, da staunte er doppelt. »Sie können doch jede benötigte Summe beim Nimmsei beheben« – sagte er.
    Stellt sich heraus: es genügt, die Bank aufzusuchen und einen Schein zu unterschreiben, und die Kasse (jetzt Nimmsei genannt) zahlt die verlangte Summe aus. Das ist kein Darlehen; aus der Annahme des Betrags erwachsen keinerlei rechtliche Verpflichtungen. Die Sache hat freilich ihren Haken: den Betrag zurückzugeben ist ein Gebot der Moral. Er wird im Laufe der Jahre abgezahlt. Ich fragte, was die Banken davor bewahre, wegen Zahlungsunfähigkeit ihrer Schuldner allesamt Pleite zu machen. Der Anwalt war wieder ein wenig befremdet. Ich hatte vergessen, daß wir im Zeitalter der Psychemie leben. Die höflichen Bittbriefe und Mahnschreiben werden mit einer flüchtigen Substanz durchtränkt, die Gewissensbisse und Arbeitseifer auslöst. So treibt das Nimmsei die Außenstände ein. Manche tückische Leute verstopfen sich freilich die Nase, bevor sie die Post durchsehen. Aber Unredlichkeit hat es zu allen Zeiten gegeben. Ich besann mich auf die Dingdiskussion über das Strafrecht und fragte, ob die psychemische Imprägnierung von Briefen nicht als Delikt nach § 139 zu werten sei. (Wer natürliche oder juristische Personen ohne ihr Wissen oder ohne ihre Einwilligung psychemisch beeinflußt, wird wegen Verbrechens … usw.) Das imponierte dem Doktor; er belehrte mich über die Feinheiten der Rechtslage. Schuldigkeiten darf man so einfordern, denn wenn der Empfänger des Schriftstücks niemandem etwas schuldet, dann kann er auch keine Gewissensbisse spüren, und gesteigerter Arbeitseifer ist im Sinne des Gemeinwohls durchaus löblich. Der Anwalt war sehr zuvorkommend. Er hat mich ins »Bronx« zum Mittagessen eingeladen; am 9. September werde ich ihn dort treffen. Daheim angelangt, fand ich es höchlich an der Zeit, die Weltlage zu erkunden, und zwar unabhängig vom Dingprogramm. Ich versuchte einen Generalangriff auf die Zeitung, aber schon in der Mitte des Leitartikels über Ausflüchter und Druckse blieb ich stecken. Beim Auslandsteil klappte es auch nicht besser. In der Türkei vermerkt man beträchtliche Desimul-Schwünde und Unmengen geheimer Bürtlinge; die dortige Zentralanstalt für Demodruck vermag dies nicht zu unterbinden. Zu allem Unglück belastet den Staatshaushalt die Fürsorge für zahlreiche Synteppen. Im Webster steht selbstredend nichts Vernünftiges. »Desimulat – Objekt, das zu sein vorgibt, aber nicht ist«. ›Desimul‹ habe ich nicht gefunden. Ein geheimer Bürtling ist ein illegal in die Welt gesetztes Kind. Das hat mir Aileen gesagt. Die Demoexplosion wird durch politischen Demodruck gebremst. Kindeslizenzen lassen sich auf zweierlei Art erlangen: entweder auf Antrag (nach Ablegung der entsprechenden Prüfungen und Papiere) oder aber als Haupttreffer in der Koterie, d. h. in der Kindeslotterie. In dieser Lotterie spielen sehr viele Leute, solche, die keine anderen Aussichten auf eine Lizenz haben. ›Syntepp‹ ist ein künstlicher Trottel; mehr habe ich nicht erfahren. Das ist ohnehin ganz schön – in Anbetracht der Sprache, worin die Artikel des »Herald« abgefaßt sind. Ich setze ein Bruchstück als Muster hierher: »Irrige oder unterindizierte Fupros schaden der Konkurrenz ebenso wie der Rekurrenz; an solchen Fupros schmarotzen die Schmierarchen durch Zutun von Hintertrepsen, denen nicht viel passieren kann, da der Oberste Gerichtshof das Urteil im Fall Herodotous noch immer nicht erlassen hat. Vergebens fragt die öffentliche Meinung seit Monaten, wer für die Verfolgung und Aufdeckung von Überschleifen zuständig ist, die Konterputer oder die Superputer …«, usw. Aus dem Webster erfuhr ich nur, daß ›Schmierarch‹ eine aus dem Slang stammende, aber bereits allgemein übliche

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