Der Gang vor die Hunde (German Edition)
füge zwei neue Kapitel hinzu, die nicht erotisch sind.« ( 18 . 7 . 1931 , MB ) Für die Zeitschriftenveröffentlichungen wurden diese gestrichenen Texte so überarbeitet, dass sie für sich stehen konnten. Diese ganzen Prozesse lassen sich nicht bis ins Detail nachvollziehen, weil die Korrespondenzen zwischen Autor und Verlag verloren sind. Nur die Mitteilungen Kästners an Ida Kästner sind erhalten – und natürlich die beiden Texte selbst, der Erstdruck und das ursprüngliche Romanmanuskript.
Die Korrekturen scheinen Kästner mehr angestrengt zu haben als der erste Durchlauf, er ging nicht ans Telefon, meldete sich nicht bei der UFA , tat, als sei er noch verreist ( 20 . 7 . 1931 , MB ). Das Journalisten-Kapitel, in einer Zeitungs-Nachtredaktion (hier im textkritischen Anhang dokumentiert), ersetzte das ursprüngliche Kapitel mit dem inkriminierten Teil
Ein ehemaliger Blinddarm erregt Aufsehen
. Dem Verlagsdirektor Kilpper wurde das geänderte Manuskript in den Schwarzwald hinterhergeschickt, er »hält hoffentlich den Rand« ( 25 . 7 . 1931 , MB ), wünschte sich der Autor. Kilpper war mit dem Manuskript einverstanden ( 5 . 8 . 1931 , MB ), am 15 . Oktober 1931 wurde der
Fabian
ausgeliefert, Kästner hatte »ein bißchen Lampenfieber, wie die Kritiken sein werden« ( 29 . 9 . 1931 , MB ). Seine Mutter war von ihrem in Leder gebundenen Vorab-Exemplar begeistert, ebenso Hermann Kesten ( 12 . 10 . 1931 , MB ); Kästners zeitweilig bester Freund Werner Buhre mäkelte, es »scheint aber der Neid mitgespielt zu haben« ( 22 . 10 . 1931 , MB ).
Anhand Labude: Zum realistischen Verfahren des Romans
Es scheint eine legitime Frage, ob Weller mit seinen Retuschen nicht womöglich recht hatte; vielleicht wäre Kästner ohne sie noch schwerer durch die NS -Diktatur gekommen als ohnehin schon? Oder haben die Veränderungen gerade das satirische Anliegen des Romans verunklart? Die nun erstmals integral lesbare Urfassung des
Fabian
verstärkt zweifellos die grotesken Elemente des Romans, zumal das
Blinddarm
-Kapitel und die ausgebauten sexuellen Episoden; [41] auch die wunderbar übermütige Fahrt im
Empörten Autobus
(viertes Kapitel) ist sicher deutlicher überzeichnet als viele der anderen. Wie ›realistisch‹ ist der Roman?
Die Lesenden werden von dem Germanisten Dr. Jakob Fabian gewissermaßen an der Hand genommen und durch das Berlin von 1930 / 31 geführt, durch alle Gesellschaftsschichten, öffentliche wie private Stätten. Er funktioniert zunächst durchaus als Identifikationsfigur, obwohl er unentwegt, wie Labude, bei seinem Nachnamen genannt wird. Sein Vorname ›Jakob‹ ist eher beiläufig zu erfahren, seine Mutter redet ihn so an, Labude in seinem Abschiedsbrief und die früheren Bekannten in der Stadt seiner Kindheit; der Erzähler dagegen nimmt sich dieses Recht nicht heraus, er spricht stets von »Fabian« und hält so eine gewisse Distanz ein. Dass der bedeutungsvolle Nachname zugleich ein Vorname ist, erleichtert die Identifikation wiederum. Trotz aller sozialen Ereignisse, die der Roman zu bieten hat, ist der Protagonist einsam, »Fabian war allein« (fünfzehntes Kapitel), heißt es einmal. Es kommt niemand so ganz und länger an ihn heran, kurz einmal Cornelia, sicher auch Labude, mit dessen politischen Auffassungen er aber seine Differenzen hat; auch die Mutter, die ihm bei aller emotionalen Nähe intellektuell nicht gewachsen ist, wird auch distanziert gesehen: Fabian freut sich im Kino über ihre Freude an einem verfilmten »alberne(n) Theaterstück« und lacht nur deshalb mit ihr mit.
Wie Kästners Figuren ›gebaut‹ sind, lässt sich an Fabians Freund Labude nachvollziehen, über den es eine regelrechte Forschungsdebatte gibt. Labude ist weit weniger resigniert und melancholisch als Fabian; er arbeitet an einer germanistischen Habilitationsschrift über Lessing, über die wenig zu erfahren ist, und führt eine Art sozialistischer Splittergruppe, während Fabian, als überzeugter Kleinbürger, nirgends dazugehören will. Als die Freunde Zeugen einer Schießerei zwischen einem kommunistischen Arbeiter und einem Nationalsozialisten werden, legt Labude dem Arbeiter einen Notverband um die Wade und stellt fest, dass die Kugel durchgegangen ist – hier scheint Ralph Zucker durch, ein Schulfreund Kästners, der Medizin studierte und sich, wie Labude, als angeblich Frühvollendeter und Opfer eines Scherzes umgebracht hat. Labude wird von einem missgünstigen
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