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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Konkurrenten erzählt, seine Habilitationsschrift, an der er fünf Jahre gearbeitet hatte, sei abgelehnt worden. Es stellt sich heraus, dass der Universitätslehrer Labudes im Gegenteil die Arbeit als »die reifste literarhistorische Leistung der letzten Jahre« beurteilt hat (zwanzigstes Kapitel). Fabian schlägt den Assistenten, der den Namen eines barocken Odendichters trägt, blutig, als der verkündet, er habe nur einen Scherz gemacht.
    Werner Fuld hat in seiner Biografie über Walter Benjamin die These aufgestellt, dass »jedem Eingeweihten die Gestalt Labudes als ein Porträt Benjamins erscheinen« musste, [42] eine erst von der Forschung schroff abgelehnte, dann zunehmend positiv diskutierte These. Fabian Beer hat anhand von Leipziger Recherchen dagegengesetzt, dass möglicherweise auch Kästners akademische Lehrer Albert Köster – der sich umgebracht hat – und Georg Witkowski in die Figur eingegangen sein könnten. Witkowski hat seine Habilitationsschrift zweimal einreichen müssen, allerdings bereits 1888 / 89 , zehn Jahre vor Kästners Geburt; er müsste also ein sehr persönliches, ja privates Verhältnis zu seinem Doktorvater gehabt haben. [43] Für die Leipziger Lehrer Kästners spricht, dass die Gelehrtensatire ein wichtiger Topos im
Fabian
ist, dass sie jedenfalls aus Kästners eigener Erfahrung auch recht konkret ausgefüttert ist; 1913 ist sogar tatsächlich eine Abhandlung über die Frage erschienen, ob Kleist gestottert hat. [44] Dass Universitäten von der Aufklärung bis heute als Brutstätten der Intrige notorisch und als solche allen Spott wert sind, hat Alexander Košenina in einer voluminösen Studie belegt. [45]
    Walter Benjamin war allerdings, anders als Ralph Zucker und die Leipziger Lehrer, eine Figur des öffentlichen Lebens. Er hatte im Frühjahr 1931 die auf Kästners Gedichtbände gemünzte Polemik
Linke Melancholie
geschrieben, die auch auf Walter Mehring und Kurt Tucholsky abzielte. Darin stand zu lesen, dass Kästner seine Gedichte mit routinierten Anmerkungen einbeule wie lackierte Kinderbällchen, um ihnen »das Aussehen von Rugbybällen zu geben«, sie seien »Sachen für Großverdiener, (…) deren Weg über Leichen geht«; der hauptsächliche Vorwurf war aber, dass »dieser linke Radikalismus (…) genau diejenige Haltung« sei, »der überhaupt keine politische Reaktion mehr entspricht. Er steht links nicht von dieser oder jener Richtung, sondern ganz einfach links vom Möglichen überhaupt.« [46]
    Nachdem Labude und Fabian just über die Frage politischer Aktivität ein (wenn auch im Ton freundschaftliches) Streitgespräch führen und der Letztere die Vorstellungen des Ersteren für abwegig erklärt, ein Paradies, in dem sich die Zwangsbeglückten immer noch »die Fresse vollhauen« würden (fünftes Kapitel), könnte das leicht als Retourkutsche an Benjamin gewertet werden. Dass seine Abhandlung
Ursprung des deutschen Trauerspiels
( 1928 ) drei Jahre vor ihrem Erscheinen in Frankfurt nicht als Habilitation angenommen worden war, war zweifellos kein Boulevard-Thema; immerhin könnte Kästner durch seinen Freund Hermann Kesten davon gewusst haben, der Benjamin kannte. [47] Das ist alles noch recht vage; es gibt aber eine Fülle weiterer Details, die auf Benjamin und Labude zutreffen: Auch Benjamins Eltern hatten eine Grunewaldvilla, während er eine Stadtwohnung unterhielt. Benjamins Sohn hieß Stefan, Labudes Vorname im Typoskript; für den Erstdruck wurde systematisch zu »Stephan« geändert. Benjamins Geliebte Asja Lacis lebte, wenn auch etwas weiter weg, wie Labudes Verlobte Leda in einer anderen Stadt. Und Kästner schickt seinen Labude auf einer letzten Reise ausgerechnet nach Frankfurt, der Stadt von Benjamins Habilitationsproblem. Zu allem Überfluss stellt Fabian sich vor, neben dem toten Labude sitzend, dass der, statt auf dem Totenbett zu liegen, in Paris mit offenen Augen glücklich von Sacré-Coeur hinunter auf die Boulevards blicken könnte –
Benjamin’s own country
, sozusagen. Verständlich, dass Košenina die Parallelen als »frappierend« bezeichnet. [48]
    Für eine bloße Rache an den eingedellten Kinderbällchen wäre das alles viel zu gesucht, vor allem ist Stephan Labude keineswegs eine denunzierte oder auch nur karikierte Figur, im Gegenteil dürfte sie weit ungebrochener positiv zu sehen sein als Fabian selbst. [49] Wie jeder realistische Autor hat Kästner ineinandergeschoben, was ihm aus seiner eigenen Erfahrung, seinem Kenntnisstand

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