Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Familie und Staat!«, mit dem die Nationalsozialisten am 10 . Mai 1933 die Werke von Erich Kästner, Heinrich Mann und Ernst Glaeser auf dem Berliner Opernplatz in die Flammen warfen, vor allem dem Autor des
Fabian
gegolten haben.
Die Urfassung des Romans,
Der Gang vor die Hunde
, ist sexuell noch expliziter; auch auf politischer Ebene sind Provokationen und auch Konkretionen zu finden, die im
Fabian
fehlen. Wie wichtig Kästner dieser Roman war, kann man daran ablesen, dass jener über die Jahre immer wieder am Text gefeilt und bis zur Ausgabe letzter Hand, der letzten zu Lebzeiten erschienenen Werkausgabe 1969 , Korrekturen vorgenommen hat. Auffällig an der hier vorliegenden Version, neben den gestrichenen Partien, sind vor allem die Differenzen in der gesprochenen Sprache der Figuren; Verschleifungen sind in der Urfassung wesentlich häufiger zu finden, aus »Andern« werden »Andere«, aus »drin« wird »darin«, »eignes« wird zu »eigenes« und so fort. Kästner war ein (wenn auch behutsamer) sprachmimetischer Zugriff wichtiger als die Verwendung der immer gleichen korrekten Hochsprache; seine Figuren werden auf diese Weise eindringlicher charakterisiert, es sei nur an den rührenden Brief von Fabians Mutter erinnert (viertes Kapitel).
Zur Entstehung des Romans
Kästner war populären Formen gegenüber nie abgeneigt gewesen, insofern ist seine Verlagerung auf die Unterhaltungsromane nach 1933 (
Drei Männer im Schnee, Die verschwundene Miniatur, Der kleine Grenzverkehr
) nicht als Verkrümmung seiner literarischen Statur zu werten, sondern eher als erzwungene Reduktion auf ein ungleich schmaleres Spektrum. Es ließe sich darüber spekulieren, welche Anregungen aus den niederen Musen in sein wohl wichtigstes literarisches Werk eingegangen sind; immerhin ist Dr. Jakob Fabian ein Beobachter, der sich mit seiner Mutter ein offenbar eher simples verfilmtes Theaterstück ansieht, der sich auf dem Rummelplatz und in weit halbseideneren Etablissements herumtreibt. Beobachter gibt es schließlich auch in der Operette, und eins der Erfolgsstücke der Zeit, die schwerlich an Kästner vorbeigegangen sein können, ist die lange entstellte und erst in den letzten Jahren rehabilitierte Operette von Ralph Benatzky
Im Weißen Rössl
(Uraufführung: Berlin 1930 ). Kästner war mit Robert Gilbert, einem der Librettisten, befreundet, und er hatte unmittelbar vor der Arbeit am Roman erwogen, aus seiner Erzählung
Inferno im Hotel –
aus der später der Roman
Drei Männer im Schnee
hervorgehen sollte – ein Singspiel-Libretto zu schreiben. Eine der bekanntesten Musiknummern des Werks, komponiert von Bruno Granichstaedten, verhandelt den zentralen Topos des Kästner’schen Protagonisten:
Zuschau’n kann i net –
ein Liebeslied, in dem der singende Kellner versichert, »Und für sie wär’ i gsprungen/ins Wasser hinein«. Das Motiv hat am Schluss des
Fabian
eine ganz andere Bedeutung erlangt, und aus dem Singspiel ist auch nichts mehr geworden.
Für Kästners damalige Verhältnisse ist
Der Gang vor die Hunde
ein langsam geschriebenes Manuskript, es war von Anfang an eine Art ›Hauptwerk‹ angestrebt. Auch hier werden Elemente früherer Texte, Gedichte wie Feuilletons, verwendet und dem Romantext anverwandelt, sie bleiben aber eher die Ausnahme. Der Autor zog alle ihm möglichen Register, um die Gesellschaft in all ihren geistigen und ungeistigen Erscheinungen in seinen Zeit- und Sittenroman zu holen; er ließ seinen Helden Descartes und Schopenhauer lesen, und er bediente die neusachlichen Topoi Werbung, Technik, Sport, die neuen Massenmedien Zeitung und Film. Allerdings werden die neuen Errungenschaften der Zeit auch kritisiert; Zigarettenwerbung, Propaganda, andere Notwendigkeiten der modernen Konsumgesellschaft sind offensichtlich keine »Aufgaben für einen erwachsenen Menschen« (fünftes Kapitel), und auch die eigene Berufsgruppe der Journalisten wird (hier einmal stärker im neu geschriebenen Kapitel für die Erstausgabe) kritisch vorgeführt, [38] obwohl Fabian fortwährend Zeitungen liest – in der Urfassung öfter als in der redigierten Erstausgabe: So ist dem anrührenden Brief der Mutter zu Beginn des vierten Kapitels ein Zeitungsbericht über eine kriminelle Sechzehnjährige vorangestellt (viertes Kapitel).
Kästner hat mit der Niederschrift etwa Ende September 1930 begonnen, im Oktober war er noch am ersten Kapitel. Er berichtete seiner Mutter: »Na, wenn es nicht so rasch geht mit dem Roman, ist
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