Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
eine ruhige Muße verschafft. So ziehe ich mich in die Einsamkeit zurück und will ernst und frei diesen allgemeinen Umsturz aller meiner Meinungen unternehmen.«
    Fabian blickte auf die Straße hinunter, sah den Autobussen nach, die, wie Elefanten auf Rollschuhen, die Kaiserallee entlang fuhren, und schloß vorübergehend die Augen. Dann blätterte er und überflog die Einleitung. Fünfundvierzig Jahre war Descartes alt gewesen, als er seine Revolution ankündigte. Am Dreißigjährigen Krieg hatte er sich ein bißchen beteiligt. Ein kleiner Kerl, mit immensem Schädel. »Von allen Sorgen frei.« Revolution in der Einsamkeit. In Holland. Tulpenbeete vorm Haus. Fabian lachte, legte den Philosophen beiseite und zog den Mantel an. Im Korridor begegnete er Herrn Tröger, dem Reisenden mit dem starken Frauenverbrauch. Sie zogen die Hüte.
     
    Labudes zweite Wohnung lag im Zentrum. Wenige wußten davon. Hierhin zog er sich zurück, wenn ihm der Westen, die noble Verwandtschaft, die Damen der guten Gesellschaft und das Telefon auf die Nerven gingen. Und hier hing er seinen wissenschaftlichen und sozialen Neigungen nach.
    »Wo hast du denn in der vorigen Woche gesteckt?« fragte Fabian.
    »Danke gut«, sagte Labude und trank den Kognak, der vor ihm stand. »Ich war in Hamburg. Leda läßt grüßen.«
    »Und wie befindet sich das Fräulein Braut?«
    »Davon später.«
    »Was vom Geheimrat gehört? Hat er deine Arbeit gelesen?«
    »Nein. Er hatte keine Zeit, sondern Promotionen, Prüfungen, Vorlesungen, Seminare und Senatssitzungen. Bis er meine Habilitationsschrift gelesen hat, habe ich einen kniefreien Vollbart.« Labude schenkte sich ein und trank.
    »Sei nicht nervös. Die Kerle werden sich wundern, wie du aus Lessings Gesammelten Werken das Gehirn und die Denkvorgänge des Mannes rekonstruiert hast, den sie, bis du kamst, als den Logos mit Freilauf dargestellt und noch nie verstanden haben.«
    »Ich fürchte, sie werden sich zu sehr wundern. Die geweihte Logik eines toten Schriftstellers psychologisch auswerten, Denkfehler entdecken und individuell und als sinnvolle Vorgänge behandeln, den Typus des zwischen zwei Zeitaltern schwankenden genialen Menschen an einem längst verkaufsfertigen Klassiker demonstrieren, das sind Dinge, die sie nur ärgern werden. Warten wir ab. Lassen wir den ollen Sachsen in Ruhe. Fünf Jahre habe ich diesen Kerl seziert, auseinandergenommen und zusammengesetzt! Auch eine Beschäftigung für einen erwachsenen Menschen, im achtzehnten Jahrhundert wie im Müllkasten herumzufingern! Hol dir ein Glas!«
    Fabian nahm ein Likörglas aus dem Schrank und schenkte sich ein. Labude blickte vor sich hin. »Heute morgen war ich dabei, wie sie in der Staatsbibliothek einen Professor festnahmen. Einen Sinologen. Er hat seit einem Jahr seltene Drucke und Bilder der Bibliothek gestohlen und verkauft. Er wurde blaß wie eine Wand, als man ihn verhaftete, und setzte sich erst mal auf die Treppe. Man fütterte ihn mit kaltem Wasser. Dann wurde er abtransportiert.«
    »Der Mann hat den Beruf verfehlt«, sagte Fabian. »Wozu lernt er erst Chinesisch, wenn er zum Schluß vom Stehlen lebt? Es steht schlimm um die Zeit. Jetzt räubern schon die Philologen.«
    »Trink aus und komm!« rief Labude.
    Sie gingen an der Markthalle vorbei, durch tausend scheußliche Gerüche hindurch, zur Autobushaltestelle. Der Wagen war voll. Sie mußten stehen. Plötzlich fragte Labude sehr laut: »Was ist das für ein Gebäude, Jonathan?« und zeigte auf den Dom. Fabian blickte ihn erstaunt an. Der Freund kniff ein Auge zu. Aha, er wollte wieder einmal, wie früher, Unfug stiften. Sein Galgenhumor kam ins Rollen.
    Fabian zeigte auf den Dom: »Das da? Das ist die Hauptfeuerwache.«
    »Was ist das?« fragte der Andere und hielt die Hand ans Ohr. Er stellte sich auch noch schwerhörig.
    »Die Hauptfeuerwache!« schrie Fabian.
    Labude nickte lächelnd und meinte: »So, so. Freilich. Ich hätte es mir denken können.«
    Die Insassen des Wagens sahen zum Fenster hinaus, schauten sich betroffen an und musterten die beiden jungen Männer bedenklich. Der Wagen hielt. Der Wagen fuhr weiter. »Und das?« Labude zeigte auf die Universität.
    »Das ist eine Anstalt für schwachsinnige Kinder!«
    Der Andere nickte freundlich dankend und sagte: »Schön haben sie’s hier, die kleinen Idioten.« Humanes Lächeln vergoldete seine Züge. Die Fahrgäste wurden unruhig. »Ist ja ein Riesengebäude, Jonathan«, fügte er nachdenklich hinzu.
    »Ja, der

Weitere Kostenlose Bücher