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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Schwachsinn ist hier sehr verbreitet. Da kommt übrigens das Rathaus!« Fabian zeigte auf die Staatsbibliothek.
    »Das Rathaus? Liegt so still, nicht?«
    »Die Herren vom Magistrat sind viel unterwegs. Ein paar erholen sich in der Schweiz, ein paar lassen sich operieren, und die Mehrzahl hat Gerichtsferien.« Ein Fahrgast lacht durch die Nase. Die Übrigen scheinen tief gekränkt.
    »Wir stören die Herrschaften. Du mußt leiser sprechen«, brüllte Labude.
    »Jawohl Vercingetorix!« rief Fabian. »Ich fürchte nur, du verstehst mich dann nicht.«
    Der blonde Freund lächelte gewinnend. »Ganz wie du wünschst. Du kennst die Stadt ja wie deine Westentasche. Findest du nicht auch, daß sich mein Gehör gebessert hat?«
    »Ganz bedeutend gebessert«, sagte Fabian.
    »Ja Fleischessen bekommt mir nicht. Der Arzt riet davon ab. Es erzeuge Rheumatismus.«
    Die Fahrgäste hockten versteinert. Man hatte den Eindruck, sie versäumten vor Empörung ihre Haltestellen. Der Autobus fuhr durchs Brandenburger Tor.
    »Wer wohnt denn hier?« fragte Labude und zeigte auf die verwitterten Säulen.
    »Das ist ein Verkehrsturm!«
    »Und die Pferdchen obendrauf?«
    »Ein Denkmal für die letzten Droschken.«
    »Interessant, der Kutscher hat fast nichts an.«
    »Das ist symbolisch zu verstehen«, brüllte Fabian. »Wegen der Steuern.«
    Ein ernster würdiger Herr mit Kneifer hustete und wurde blau. Eine dicke Dame rutschte auf ihrem Sitz hin und her, als werde sie geröstet, und sagte aufklärend zu Labude: »Das Brandenburger Tor.«
    Er lächelte ihr zu und rief: »Verzeihung, gnädige Frau. Hat es sehr weh getan?«
    »Das Brandenburger Tor!« schrie die dicke Dame, und Tränen füllten ihre Augen.
    »Mein Gott, ich muß sie getreten haben«, sagte Labude zu Fabian. Dieser hatte große Lust auszusteigen und antwortete: »Wir sind gleich da.«
    »Was stellt das dar?« fragte Labude und zeigte auf den Tiergarten.
    In dem Moment erhob sich jemand, fuchtelte Fabian mit dem Schirm vor der Nase herum und brüllte: »Wenn Sie ihm jetzt erzählen, das sei die Nationalgalerie, dann haue ich Ihnen Eins hinter die Ohren, daß Sie taubstumm werden! Verstanden?«
    »Dankeschön!« Labude verbeugte sich freundlich und wohlerzogen vor dem schäumenden Herrn.
    »Aber beruhigen Sie sich doch«, sagte Fabian, »ich werde doch noch wissen, daß dies das Tempelhofer Feld ist.«
    Plötzlich waren alle Sitzplätze frei, sämtliche Fahrgäste waren aufgesprungen und schrien wütend durcheinander. Labude setzte sich und lächelte.
    »Bei dem Dom ging dieses Affentheater los!« kreischte ein blasses Fräulein.
    »Und die Universität wäre eine Anstalt für schwachsinnige Kinder!«
    »Und die Staatsbibliothek wäre das Rathaus!«
    »Und das Brandenburger Tor wäre ein Verkehrsturm!« heulte die dicke Dame und trocknete gerührt ihre Tränen auf.
    Fabian trat auf die Plattform. »Herr Ober«, sagte er zu dem Schaffner, »wollen Sie, bitte, die Herrschaften im Wagen zur Ordnung rufen«, und sprang ab.
    An der nächsten Haltestelle wartete Labude schon. »War sehr nett«, erklärte er. »Welch ein Temperament! Ein prächtiges Volk! Aber sie wissen alles besser.« Sie gingen die Budapester Straße entlang. An der Voßstraße trat Labude an ein wartendes Auto und fragte die darin sitzende, von kleinen schneeweißen Pekinghündchen umgebene Dame: »Können Sie mir, bitte, sagen, wie spät es ist?«
    »Ich habe keine Uhr bei mir«, antwortete sie streng.
    »Schade«, sagte Labude und blieb neben ihr stehen.
    Da trat Fabian vor ihn hin, zog den Hut und fragte: »Können Sie mir, bitte, sagen, wie spät es ist?«
    »Einen Augenblick!« Labude holte seine Uhr aus der Tasche und sagte: »Sieben vor Acht, mein Herr!«
    »Dankeschön«, antwortete Fabian, hakte bei dem Freund unter und beide gingen langsam zum Potsdamer Platz.
    »Das war Frau Generaldirektor Roth«, sagte Labude. »Morgen früh weiß es meine Mutter. Nein, ich glaube, sie ist verreist.«

Fünftes Kapitel Ein ernstes Gespräch am Tanzparkett – Fräulein Paula ist insgeheim rasiert – Frau Moll wirft mit Gläsern
    In Haupts Sälen war, wie an jedem Abend, Strandfest. Punkt zehn Uhr stiegen, im Gänsemarsch, zwei Dutzend Straßenmädchen von der Empore herunter. Sie trugen bunte Badetrikots, gerollte Wadenstrümpfe und Schuhe mit hohen Absätzen. Wer sich derartig auszog, hatte freien Zutritt zum Lokal und erhielt einen Schnaps gratis. Diese Vergünstigungen waren in Anbetracht des darniederliegenden

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