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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Sie, daß Sie auf eigenes Risiko mitfahren? Sollten Sie das Genick brechen, tun Sie’s auf Ihre Rechnung.«
    Dann fuhren sie los.
    Dieser Kapitelschluss wird in der Erstausgabe mit einem neu geschriebenen dritten Kapitel und dem Anfang des vierten fortgesetzt; eine Seite nach Beginn des vierten Kapitels treffen die beiden Versionen wieder zusammen ( EA , S.  31 – 51 ):
     
    DRITTES KAPITEL
    Vierzehn Tote in Kalkutta – Es ist richtig, das Falsche zu tun – Die Schnecken kriechen im Kreis
    Der Korridor war leer. In der Handelsredaktion brannte Licht, es saß niemand im Zimmer, die Tür stand offen. »Schade, daß Malmy schon im Haus ist«, sagte Münzer verstimmt. »Nun hat er sein Auto wieder nicht gesehen. Moment. Mal horchen, was sich in der Weltgeschichte tut.«
    Er riß eine Tür auf, Schreibmaschinen klapperten, aus den an einer Zimmerwand aufgereihten Telefonkabinen drangen, wie aus der Ferne, die Stimmen der Stenotypistinnen.
    »Was Wichtiges?« schrie Münzer in den Lärm hinein.
    »Die Rede des Reichskanzlers«, antwortete eine Frau.
    »Richtig«, sagte der Redakteur. »Der Kerl schmeißt mir mit seiner Quasselei die ganze erste Seite über den Haufen. Liegt der Text vollständig vor?«
    »Zelle zwei nimmt das zweite Drittel auf!«
    »Sofort in die Maschine damit, dann zu mir!« kommandierte Münzer, schlug die Tür zu und führte Fabian in die Räume der politischen Redaktion. Während sie ablegten, zeigte er auf den Schreibtisch. »Schauen Sie sich die Bescherung an! Erdbeben aus Papier!« Er wühlte in dem Haufen neueingegangener Meldungen, schnitt mit einer Schere, wie ein Zuschneider, Einiges ab und legte es beiseite. Den Rest warf er in den Papierkorb. »Marsch, ins Körbchen«, sagte er dabei. Dann klingelte er, bestellte bei einem livrierten Boten eine Flasche Mosel mit zwei Gläsern und gab Geld. Der Bote stieß in der Tür mit einem aufgeregten jungen Mann zusammen, der hereinwollte.
    »Der Chef hat eben angerufen«, erzählte der junge Mann atemlos. »Ich mußte im Leitartikel fünf Zeilen streichen. Sie wären durch neue Nachrichten überholt. Ich komme gerade aus der Setzerei und habe die fünf Zeilen herausnehmen lassen.«
    »Sie sind ein Tausendsassa«, erklärte Münzer. »Ich mache bekannt: Doktor Irrgang, hat noch eine große Zukunft vor sich, Irrgang ist der Künstlername. Herr Fabian.« Die beiden gaben einander die Hand.
    »Aber«, sagte Herr Irrgang betreten, »nun sind doch in der Spalte fünf Zeilen frei.«
    »Was tut man in einem so außergewöhnlichen Fall?« fragte Münzer.
    »Man füllt die Spalte«, erklärte der Volontär.
    Münzer nickte. »Steht nichts im Satz?« Er wühlte in den Bürstenabzügen. »Ausverkauft«, erklärte er. »Sauregurkenzeit.« Dann prüfte er die Meldungen, die er eben beiseite gelegt hatte, und schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht kommt noch etwas Brauchbares herein«, schlug der junge Mann vor.
    »Sie hätten Säulenheiliger werden sollen«, sagte Münzer. »Oder Untersuchungsgefangener, oder sonst ein Mensch mit viel Zeit. Wenn man eine Notiz braucht und keine hat, erfindet man sie. Passen Sie mal auf!« Er setzte sich hin, schrieb rasch, ohne nachzudenken, ein paar Zeilen und gab das Blatt dem jungen Mann. »So, nun fort, Sie Spaltenfüller. Wenn’s nicht reicht, ein Viertel Durchschuß.«
    Herr Irrgang las, was Münzer geschrieben hatte, sagte ganz leise: »Allmächtiger Vater« und setzte sich, als sei ihm plötzlich schlecht geworden, auf die Chaiselongue, mitten in einen knisternden Berg ausländischer Zeitungen.
    Fabian bückte sich über das Blatt Papier, das in Irrgangs Hand zitterte, und las: »In Kalkutta fanden Straßenkämpfe zwischen Mohammedanern und Hindus statt. Es gab, obwohl die Polizei der Situation sehr bald Herr wurde, vierzehn Tote und zweiundzwanzig Verletzte. Die Ruhe ist vollkommen wiederhergestellt.«
    Ein alter Mann schlurfte in Pantoffeln ins Zimmer und legte mehrere Schreibmaschinenblätter vor Münzer hin. »Kanzlerrede, Fortsetzung«, murmelte er. »Den Schluß geben sie in zehn Minuten durch.« Dann schleppte er sich wieder davon. Münzer klebte die sechs Blätter, aus denen die Rede vorläufig bestand, aneinander, bis sie wie ein mittelalterliches Spruchband aussahen, dann begann er zu redigieren. »Mach hurtig, Jenny«, sagte er mit einem Seitenblick auf Irrgang.
    »Aber in Kalkutta haben doch gar keine Unruhen stattgefunden«, entgegnete Irrgang widerstrebend. Dann senkte er den Kopf und meinte fassungslos:

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