Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
für ein verpfuschtes Leben abgab.
In den Gardens war es kalt.
Konnte noch kälter werden.
Keiner von den Anwesenden wusste, dass der amerikanische Kommunismus aus diesem einen Winter nicht mehr erwachen würde. Ach, die Ironie des Ganzen! Nach allem, was Rose gesehen und getan hatte, flog sie raus, wenige Monate, bevor Chruschtschow beim Parteitag der KPdSU Stalins Säuberungen bekanntmachte. Wenige Monate, bevor sich das Gerücht seiner Geheimrede über den Atlantik ausbreitete und den nibelungentreuen Tölpeln in den USA die Ohren versengte. Und dann erschien die Übersetzung der Geheimrede in der New York Times. Es wäre doch zu schön gewesen, an jenem Tag die Dackelaugen der nüchternen und überheblichen Henker zu sehen, die da drinnen warteten. Aber nein, Roses Rausschmiss war der letzte glorreiche Akt (oder jedenfalls der letzte, dessen Zeugin sie werden musste) dieser herrlich indignierten Gespenster, die längst tot waren, ohne es zu wissen.
Heute Abend wusste es keiner von ihnen.
Sol Eaglin machte wieder Smalltalk, flirtete fast schon, jetzt, wo sie unter sich waren. »Wie hast du deinen Polizisten eigentlich kennengelernt, Rose?«
»Im Gegensatz zu Leuten, die sich nur im Moskau ihrer Träume aufhalten, bin ich stolze Bürgerin einer Gegend, in der Italiener, Iren, Neger, Juden und ab und zu auch mal Proleten aus der Ukraine leben. Kommen deine Leute nicht aus der Ukraine, Sol?«
Er lächelte nur.
»Wenn ich in Queens unterwegs bin, schweben meine Füße nicht über den Gehwegen. Meine Überzeugungen entbinden mich nicht von der Verantwortung gegenüber den armen entwürdigten Menschen vor meiner Nase.«
»Meinst du, wenn du deine Runden machst? Wie nennt ihr das, eure ›Bürgerpatrouille‹?«
»Genau, die Bürgerpatrouille.« Beide bezogen sich verbrämt auf Tatsachen, die Sol Eaglin natürlich aus ihrer Parteiakte kannte, deren Existenz er dementiert hätte und die Rose nie würde beweisen können, die für sie aber ebenso unumstößlich war wie die unsichtbare Existenz Jahwes für ihre Glaubenslehrer, die sie nicht hatten überzeugen können, oder wie ihr Glaube daran, dass ihr Name irgendwo in der Haggada verzeichnet war, die im Palisanderschrein der Synagoge verwahrt wurde. Ihre Akte hatte ihn zweifellos darüber in Kenntnis gesetzt, dass Rose ihre Affäre mit dem schwarzen Police Lieutenant begonnen hatte, nachdem die Bezirksstreife von Sunnyside gebildet worden war und sie sich selbst zur Kontaktperson zum örtlichen Polizeirevier ernannt hatte. Vielleicht malte Sol sich auch aus, dass ihr Engagement für die Bürgerpatrouille ein von langer Hand vorbereiteter Schachzug war, nur um sich an einen verheirateten Mann heranzumachen, den sie schon lange begehrt hatte. Sollte Sol doch glauben, was er wollte. Vor jenem Tag hatte Rose Douglas Lookins noch nie gesehen.
Sie ließ sich zu einer Verteidigung herab. »Das ist eine Nachbarschaftswache, Sol. Arbeiterinnen, die anderen Arbeiterinnen helfen, damit sie keine Angst haben müssen, wenn sie nach der Nachtschicht von der Hochbahn nach Hause gehen.«
»Manche Leute denken unwillkürlich an die Braunhemden, wenn sie sehen, dass Privatleute Marschvereine bilden und an den Straßenecken gestiefelten Männern etwas zuflüstern.«
»Du willst mich zu einer verzweifelten oder wütenden Handlung provozieren, damit du dann berichten kannst, ich wäre für die gemeinsameSache wertlos geworden. Oder wahrscheinlich hast du den Bericht schon geschrieben und bist jetzt enttäuscht, weil ich dir nicht den Gefallen eines Nervenzusammenbruchs tue.«
»Ich habe keinen Bericht geschrieben.« Er fasste sich kurz, als wäre sie, indem sie seine Unterwerfung unter einen unsichtbaren Zellenführer andeutete, zu weit gegangen. Das erzeugte für Sol Eaglin Intimität und nicht zwei Körper, die des Nachts verschmolzen.
»Ich bin drinnen fertig, Sol«, sagte Rose und meinte die Küche und alles andere: drinnen in all den Philosophien und Verschwörungstheorien, die um sie herum in der Luft lagen und die ausgespuckt worden waren, als sie zur Tür hereinkamen wie Hitze und heiße Dämpfe, wenn man einen Kohleofen aufmachte. »Nimm sie mit und geh.«
»Du solltest uns erlauben, das übliche Verfahren zu befolgen.«
»Verfahren wofür? Wenn ich dich ansehe, alter Mann, kann ich sehen, was kein Spiegel mir verrät. Ich bin eine alte Frau. Ich hab dafür keine Zeit.«
»Du bist eine Frau in der Blüte des Lebens, Rose.« Eaglin klang nicht überredend. Hatte er
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