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Nachtsplitter

Nachtsplitter

Titel: Nachtsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja von Vogel
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Samstag
    1
    »Wie sehe ich aus?« Pia betrachtete sich kritisch in dem großen Spiegel an meiner Zimmerwand.
    »Super«, sagte ich. »Wie immer.«
    Pia fuhr sich mit allen zehn Fingern durch ihre langen, blonden Haare und seufzte. »Wenn meine Haare bloß nicht immer so platt
     herunterhängen würden. Sie haben überhaupt kein Volumen.«
    »Stimmt.« Ich verzog keine Miene. »So kannst du echt nicht auf die Straße gehen.«
    Ich kannte Pia fast so gut wie mich selbst. Sie wusste genau, dass sie super aussah. Ihr ständiges Gejammer über ihre Haare,
     ihre (perfekte) Figur und ihre (angeblich) zu große Nase war reine Show. Fishing for compliments. Aber bei mir fischte sie
     vergeblich. Ich tat ihr schon lange nicht mehr den Gefallen zu widersprechen.
    Pia boxte mich in die Seite. »Ekel!«
    Ich grinste und hielt ihr die Sektflasche hin. »Trink lieber noch was, Vogelscheuche.« Pia griff nach der Flasche und nahm
     einen großen Schluck.
    Das war unser Ritual. Wir gingen fast jeden Samstag aus. Ins
Rock Café
, die einzige Disco der Stadt, die halbwegs akzeptable Musik spielte, auf Partys oder Konzerte. Vorher trafen wir uns bei
     Pia oder mir, stylten uns und tranken Sekt. Vorglühen nannte Pia das.
    Sie gab mir die Flasche zurück. Ich setzte sie an die Lippen und ließ den letzten Rest lauwarmen Sekt meine Kehle hinunterlaufen.
     Dann zückte ich mein Handy und filmte unser Spiegelbild. Ich hatte eine Weihnachtsbaum-Lichterkette um den Spiegel drapiert
     und die vielen kleinen Glühbirnen leuchteten wie Sterne vor der dunkelgrauen Wand. Sie waren die einzige Lichtquelle im Zimmer,
     abgesehen von den Kerzen, die in einem zweiarmigen Leuchter auf der Fensterbank flackerten. Den Leuchter hatte ich vom Flohmarkt.
     Er war alt und angelaufen, aber ich mochte die schnörkeligen Verzierungen, die sich seinen Fuß hinaufrankten, und die Vorstellung,
     dass er schon vielen Menschen vor mir Licht gespendet hatte.
    Auf dem Display meines Handys erschienen zwei Mädchen, ein blonder Engel und eine Schwarzhaarige mit blassem Gesicht und dunkel
     umrandeten Augen. Pia und ich. Früher hatten wir einander ziemlich ähnlich gesehen, aber seit ich vor zwei Jahren damit angefangen
     hatte, mir die Haare zu färben, und Schwarz zu meiner Lieblingsfarbe erklärt hatte, war eine Verwechslung absolut ausgeschlossen.
     Mirgefiel das dunkelhaarige Mädchen auf dem Display. Es sah cool aus. Und irgendwie unnahbar.
    Schwenk durch mein Zimmer. Der kleine Schreibtisch, auf dem sich lauter Schulkram neben meinem alten, zerkratzten Laptop stapelte.
     Die Matratze auf dem Boden mit den vielen Kissen und dem schwarzen Bettzeug. Der abgeschabte Teppichboden (kackbraun), von
     dem man glücklicherweise nicht viel sah, weil ich schwarze Flokati-Teppiche darübergelegt hatte. Die grauen Wände (selbst
     gestrichen), die meine Mutter absolut furchtbar fand. Ihrer Meinung nach verwandelten sie mein Zimmer in eine dunkle Höhle.
     Dass ich genau das damit bezweckt hatte, ging ihr einfach nicht in den Kopf. Das Bücherregal, vollgestopft mit alten Kinderbüchern,
     Krimis, Romanen und zerfledderten Comics. Zwischen den Bücherstapeln ein paar Fotos in silbernen Rahmen. Pia und ich beim
     Karneval vor fünf Jahren. Sie als Prinzessin, ich als Seeräuber. Markus mit Dreitagebart und hellblauen Augen, die von selbst
     zu leuchten scheinen. Mein Vater, der mich auf den Schultern trägt und dabei lacht, als würde er mein Gewicht gar nicht spüren.
     Seine Hände um meine schmalen Knöchel in geringelter Strumpfhose.
    Schwenk zurück. Pia zog noch einmal ihre Lippen nach, zupfte ihr durchscheinendes Spitzentop zurecht und warf mir im Spiegel
     eine Kusshand zu. »Auf geht's. Jetzt erobern wir die Nacht!«
    Der blonde Engel verschwand, nun blickte michnur noch die Dunkelhaarige vom Display aus an. Ich lächelte ihr zu, sie lächelte zurück. »Wir werden heute jede Menge Spaß
     haben«, versprach ich ihr, bevor ich das Handy in die Tasche steckte.

2
    Pia schwankte leicht, als sie vor mir die schmale Treppe hinunterging. Im Erdgeschoss schlüpfte ich schnell in meine Chucks
     und griff nach der abgewetzten Jeansjacke, die auf dem Stuhl neben der Garderobe lag.
    Meine Mutter war nicht da. Sie hatte Spätschicht und würde frühestens um halb elf zurück sein. Was gut war, denn sie wäre
     von meiner Sektfahne alles andere als begeistert gewesen. Sie hasste es, wenn ich trank. Wahrscheinlich hatte sie im Krankenhaus
     zu viele Kids mit Alkoholvergiftung

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