Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
Vom Netzwerk:
Grabstätte getragen, wo sich die meisten Einwohner der Siedlung versammelt hatten. Die Sonne war strahlend untergegangen und hatte den ganzen Himmel mit ihrem Licht in Brand gesetzt. Im goldenen Zwielicht glitzerte das leinene Grabtuch wie der teuerste Samt, und die Gesichter der Mönche und Trauernden glühten. Wir sangen ein Totenlied für den gestorbenen Krieger, dann stimmte Abt Emlyn einen Psalm an. Schließlich sprach er ein Gebet und lud die nächsten Verwandten des Toten dazu ein, ein wenig Erde ins Grab zu werfen. Murdo trat vor, nahm eine Hand voll Erde und ließ sie fallen. Ich folgte seinem Beispiel. Ich vermute, dass ich mich trotz unserer kurzen Bekanntschaft auf irgendeine natürliche Art mit Torf Einar verwandt gefühlt habe. Trotz seines lasterhaften Lebens war er noch immer Teil der Familie, und wir taten für ihn, was wir für jedes Familienmitglied getan hätten.
    Während die Mönche das Grab zuschaufelten, sangen wir einen Psalm. Das tiefe Loch war rasch gefüllt, und darüber wurde ein einzelner, flacher Stein errichtet, in den der Name des Verstorbenen eingeritzt war. Schließlich gingen wir wieder Richtung Halle, um dort zum Gedenken Torf-Einars zu essen und zu trinken. Als wir die Halle erreichten, blickte ich nach oben und sah zwei Sterne über dem steilen Rieddach - einen für Torf und einen für Skuli, entschied ich. Im selben Augenblick begannen die Mönche erneut zu singen, und ich hatte den Eindruck, als strahlten die beiden Sterne mit einem Mal heller. »Leb wohl, Torf«, murmelte ich zu mir selbst. »Möge es dir auf deiner Reise von nun an gut ergehen.«
    An diesem Abend speisten wir im Gedenken an Torf-Einar, und nach mehreren Runden Bier stand Murdo auf und sprach kurz über seinen Bruder. Er erzählte von ihrem gemeinsamen Leben, wie sie auf Orkneyjar aufgewachsen waren und von der Liebe und Bewunderung seines Vaters für dessen erstgeborenen Sohn. Ich konnte jedoch nicht umhin zu bemerken, dass er nicht ein Wort über ihren Aufenthalt im Heiligen Land verlor. Und so wusste ich nun mit Gewissheit, dass die alte Wunde im Herzen meines Vaters, von der Emlyn gesprochen hatte, sich wieder geöffnet hatte.
    In dieser Nacht klammerten Rhona und ich uns im Bett aneinander, freuten uns unserer Liebe und feierten das Leben, das durch unsere Adern strömte.
    Am nächsten Tag widmeten wir uns wieder unseren alltäglichen Arbeiten in der Siedlung. Das lang erwartete Schiff mit den Steinen traf ein, und wir machten uns an die schweißtreibende Arbeit, es zu entladen und die schweren Blöcke zur neuen Kirche zu schleppen. Murdo stellte so viele Männer für diese Aufgabe ab, wie er entbehren konnte, ohne dass andere Pflichten in der Siedlung vernachlässigt wurden; dennoch war es harte Arbeit. Am Ende des Tages waren wir allesamt vollkommen erschöpft, und Torfs Tod und Beisetzung waren nur noch so bedeutend wie die Ringe im Wasser, nachdem man einen Kiesel hineingeworfen hat.
    Im Laufe der nächsten Wochen dachte ich jedoch immer wieder an die ein oder andere Kleinigkeit, die Torf mir über das Heilige Land erzählt hatte. Einmal fragte ich Murdo diesbezüglich etwas, doch er antwortete mir, was Torf gesagt habe, solle man besser vergessen. »Es war das Geplapper eines fieberkranken Mannes«, erklärte er schlicht. »Er ist tot, und so ist es nun mal. Ich will nicht mehr darüber reden.«
    Natürlich weckte das meinen Appetit nur umso mehr. Den ganzen Rest des Sommers und die gesamte Erntezeit hindurch verlangte es mich nach neuem Wissen über die Große Pilgerfahrt und ihre vielen Schlachten, doch erfuhr ich nur wenig Neues. Niemand auf dem Gut oder in den anderen Siedlungen hatte das Kreuz genommen oder die Reise aus anderen Gründen angetreten - abgesehen von Abt Emlyn und Murdo, meinem Vater. Als ich den guten Abt danach fragte, was im Heiligen Land geschehen sei, das meinen Vater so wenig darüber reden ließ, antwortete dieser: »Eines Tages wird er die Zeit vielleicht für gekommen halten, darüber zu sprechen. Ohne Zweifel ist es so am besten.«
    Gegen Ende der Erntezeit dieses Jahres verkündete mir Rhona, dass unsere Bemühungen um ein weiteres Kind Früchte getragen hatten: Im Frühling würde es so weit sein. Cait, ich erinnere mich daran, wie ich dich angesehen habe, nachdem meine geliebte Frau mir die frohe Nachricht übermittelt hatte. Du saßest neben dem Herd und rührtest mit einem Holzlöffel in einem Topf herum, den dir deine Mutter gegeben hatte, damit du ihr helfen

Weitere Kostenlose Bücher