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Der Gast des Kalifen

Titel: Der Gast des Kalifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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zufälligerweise war Niniane die Erste, die ich sah. Sie trat auf mich zu und nahm mich in die Arme. »Mein lieber, lieber Duncan«, seufzte sie. »Es tut mir ja so Leid.«
    Ich ließ mich einen Augenblick lang trösten, dann fragte ich: »Wie kommt es, dass du hier bist?«
    »Ich war auf dem Weg zur Abtei. Ich bin gerade rechtzeitig gekommen, um dabei zu helfen, den Körper - ihren Körper - vorzubereiten.«
    Vor lauter Trauer hatte ich nicht mehr wahrgenommen, was um mich herum geschah. »Ist Eirik bei dir?«
    Sie schüttelte den Kopf. »In Inbhir Ness gab es Ärger. Der Sohn eines Edelmanns, der dort zu Besuch war, hat aus Versehen den Sohn eines örtlichen Clanoberhaupts getötet. Der Clan hat Blutrache geschworen, und der unglückliche Junge hat im Kloster Zuflucht gesucht. Eirik hielt es für das Beste, dort zu bleiben, bis die Angelegenheit geklärt ist.«
    Niniane blickte mich unglücklich an. »Rhona war mir eine gute Freundin, und nun will ich versuchen, das Gleiche für dich zu sein. Ich werde dir helfen, so gut ich kann.«
    Ich dankte ihr freundlich und begleitete sie zur Tafel, wo gerade das Essen aufgetragen wurde. Neben meiner Mutter, auf deren Schoß die kleine Cait saß, hatte man mir einen Platz freigehalten. Du, mein Herz, die du nichts von den dunklen Ereignissen um dich herum wusstest, du hast die Hände nach mir ausgestreckt und wolltest mit mir spielen. Aber ich konnte nicht. Ich saß einfach nur da, blickte mit trüben Augen in dein glückliches, kleines Gesicht und war deinem kindlichen Flehen gegenüber taub.
    Alles, woran ich denken konnte, war, dass ich mit meinem toten Weib mit Freuden den Platz getauscht hätte. Immerhin war alles meine Schuld. Hätte ich nicht darauf bestanden, einen Sohn zu haben, wäre meine geliebte Rhona noch am Leben. Dann würde ich jetzt neben ihr sitzen, und es wäre ihr Gesicht gewesen, ihre strahlenden Augen, in die ich blickte - es wäre Rhona gewesen, die ihre Hand nach mir ausstreckte.
    Viel wurde gesungen in jener Nacht, doch ich erinnere mich an fast nichts davon. Emlyn sang ein Klagelied - das weiß ich noch -, und einige der Frauen aus der Siedlung sangen ebenfalls, während
    Padraig die Harfe spielte. Doch mein Geist und mein Herz waren bei meiner Geliebten, die kalt und allein auf einer Bahre in der Kirche lag, und ich fand keinen Trost in den freundlichen Gesichtern um mich herum.
    Nie gab es einen unglücklicheren Mann als mich in jener Nacht. Nachdem schließlich alle zu Bett gegangen waren, verließ auch ich die Halle. Eine Zeit lang wälzte ich mich in meinem leeren Bett hin und her, und da ich ohnehin nicht schlafen konnte, stand ich schließlich auf und wanderte bis zum Morgengrauen über die Klippen oberhalb der dunklen, ruhelosen See.
    Nach der Totenmesse in der alten Holzkirche begruben wir Rho-na auf dem neuen Kirchhof. Ihre letzte Ruhestätte hätte ihr gefallen, glaube ich, denn in der Nähe wuchs ein Pflaumenbaum, und sie hatte Pflaumen stets geliebt. Es war der letzte Baum auf dem Kirchhof, und er sollte auch nicht gefällt werden. Lange Zeit kniete ich neben dem mit Steinen bedeckten Grab und fragte mich, wie ich ohne das Licht meines Lebens, ohne meine Seele weiterleben sollte, die hier unter einem Haufen Dreck und Stein begraben lag.
    Auch die nächsten Tage brachten mir keinen Trost. Teilnahmslos ging ich meinen alltäglichen Arbeiten nach. Ich war ein Mann jenseits aller Hoffnung, des Lebens beraubt, und ich sah nichts Gutes, hörte kein freundliches Wort und freute mich an nichts und niemandem um mich herum. Nachts streifte ich über die Klippen.
    Dieser erbärmliche Gemütszustand hielt an, bis ich es nicht mehr ertragen konnte. Eines Nachts, während der Vollmond über dem Hof leuchtete, stand ich auf und ging hinaus. Meine Füße fanden den vertrauten Weg, der zum Ufer hinunterführte. Voller Verzweiflung und meiner Trauer müde ging ich zum Strand und ins Meer hinaus.
    Gott helfe mir, aber ich konnte den Schmerz nicht länger ertragen. Ich spürte, wie das kalte Wasser meine Knie umspülte, doch ich ging weiter. Falls ich in diesem Augenblick überhaupt etwas gedacht habe, dann, dass mein Leiden bald vorüber und ich bei meiner Geliebten sein würde.
    Ich spürte, wie das Wasser um mich herum stieg - zu meinen Schenkeln, dann zu meiner Hüfte -, doch noch immer ging ich weiter und hätte auch nicht angehalten. Aber als das schwarze Wasser meine Brust umspülte, hörte ich eine Stimme vom Ufer herrufen: »Dun-can!

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