Der Gast des Kalifen
Ende der Geschichte zu erfahren, fielen die anderen Gäste in Schweigen, und alle Augen richteten sich auf den Kopf der Tafel.
»Mein guter Abt«, begann Murdo, dem das Ganze sichtlich unangenehm war, »mir scheint, dass unser Bischof aufgrund seiner außergewöhnlichen Vision einiges zu leiden hat.«
»Ist das so?«, erwiderte Emlyn und blickte den jungen Kirchenmann mitleidig an. »Ich wünschte, Ihr wärt damit zu mir gekommen, mein Freund. Was ist das Problem?«
Eirik erklärte es ihm kurz, woraufhin Emlyn sich an Murdo wandte. »Wenn das kein Zeichen unseres Herrn und Erlösers ist, dann weiß ich nicht, was es sonst sein könnte.«
»Das war auch mein Gedanke«, erwiderte Murdo. Er stand auf und rief nach einem Diener. »Bring einen Krug Bier in die Schatzkammer.« Dann wandte er sich an seine Gäste. »Ich bitte euch um Verzeihung, meine Freunde; doch diese Angelegenheit müssen wir leider vertraulich besprechen. Bitte, bleibt, so lange ihr wollt. Meine gute Frau wird dafür sorgen, dass die Krüge gefüllt bleiben.«
Mit diesen Worten standen die drei Männer auf und machten sich auf den Weg zur Tür hinaus. Jene, die an der Tafel zurückblieben, überkam plötzlich die Erkenntnis, dass sie nun vermutlich nie des
Rätsels Lösung erfahren würden. Ich selbst zählte mich ebenfalls zu ihnen, denn schließlich hatte man mich nicht eingeladen, an dem Gespräch teilzunehmen. Ich blickte den dreien hinterher und war zutiefst enttäuscht.
Das Mahl endete, und die Gäste zerstreuten sich. Eine Zeit lang saß ich noch mit meiner Mutter an der Tafel, starrte ins Kaminfeuer und kam mir so verloren vor wie ein Hund, der von seinem Herrn verstoßen worden war. Nach einer Weile erschien Haldi, einer der jüngeren Diener, mit den Bierkrügen. Ragna rief nach ihm, als er auf die Tür am anderen Ende der Halle zuhielt.
»Bring mir das Tablett hier rüber, Haldi«, sagte sie. Er kam und stellte das Tablett auf den Tisch. Frau Ragna entließ ihn mit den Worten: »Sie werden wohl eine Weile reden. Hilf in der Küche; dann kannst du zu Bett gehen. Ich werde dem Herrn sein Bier selber bringen.«
Haldi dankte ihr und rannte davon, froh, heute einmal früher mit der Arbeit fertig zu sein. Dann stand meine Mutter auf, gähnte und sagte: »Ich bin auch ein wenig müde, und ich glaube, ich werde jetzt ebenfalls zu Bett gehen. Wärst du so lieb und bringst deinem Vater das Bier, Duncan?«
»Aber ja doch, gute Frau«, erwiderte ich, »ich gehorche Euch mit Freuden.«
Sie küsste mich auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht. Dann schnappte ich mir das Tablett, um nicht einen einzigen weiteren Augenblick zu verschwenden, und eilte in die Schatzkammer, wo gerade das Geheimnis von Eiriks Vision enthüllt wurde.
ie Schatzkammer war ein recht kleiner Raum in der Mitte des Hauses. Sie besaß keine Fenster, sondern nur eine niedrige Tür. Die Wände bestanden aus gutem, festem Stein und waren ausgesprochen dick. Ich glaube, sie war der erste Teil des Hauses, der gebaut worden war, und der gesamte Rest - die Schlafzimmer, Lagerräume, Werkstätten, die Küche und die Halle - wurden um sie herum errichtet. Wie ich gelernt habe, besitzen im Osten die meisten Herrscher solch einen Raum, doch im Norden ist er eher selten. Der Grund dafür ist, dass der Reichtum der Männer des wilden Nordens im Land selbst begründet liegt - in den Feldern, dem Vieh und dem Weideland - und nicht in Gold und Silber.
Reichtum wie diesen hat Murdo genug; so viel steht fest. Doch er besitzt auch einen Schatz, der jeden König vor Neid hätte verzweifeln lassen, wäre es denn bekannt gewesen. Murdo ist stets sehr vorsichtig gewesen, was seinen Schatz betrifft; er spricht nie von ihm und betritt den Raum nur selten, der ihn beherbergt. Einmal, als Junge von sechs oder sieben Sommern, stahl ich den großen Eisenschlüssel aus seinem Versteck, der mir Zutritt zu diesem Raum verschaffen sollte und wartete, bis alle mit irgendetwas beschäftigt waren, dann ließ ich mich selbst hinein, um zu sehen, was sich in der Kammer verbarg.
Selbst meinem kindlichen Auge war der Raum klein und niedrig erschienen. In der Mitte der Kammer stand ein Tisch mit einem Stuhl und einem Kerzenleuchter mit halb heruntergebrannten Kerzen. Es gab vier große Eichentruhen - eine an jeder Wand -, und jede Truhe war mit breiten Eisenbändern verstärkt und verschlossen. Ich hatte keinen Schlüssel für irgendeines der Schlösser, doch die Entdeckung der Truhen war so aufregend
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