Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
und lassen.
In Prag regierte noch der Kaiser Rudolf, der die Lutherischen gewähren ließ, in Kärnten aber wütete der Landeshauptmann, der Graf Johann von Ortenburg, und versuchte, sie mit Feuer und Schwert zurück zum rechten Glauben zu bekehren.
Stephan war bald vierzig Jahre alt damals. Er trug Stulpenstiefel aus Hirschleder, weite Hosen und ein Hemd aus ungarischem Leinen. Sein Schnurrbart war nach Osmanenart lang und gezwirbelt. Seine Mutter hatte ihn nach Kärnten gebracht, da war er sechs gewesen. Sein Vater, angeblich ein kroatischer Baron, war da angeblich schon tot, und seine Mutter, angeblich eine kroatische Baronesse, hatte angeblich vor den Osmanen fliehen müssen.
Geschichten waren das, man glaubt sie kaum.
Recht bald hatte die Mutter dann einen Falkner aus Spittal geheiratet. Der war gut gewesen zu Stephan, hatte ihn ziehen lassen, als es ihn mit fünfzehn in die Welt hinaustrieb.
Zwischen Weichsel, Main und Tiber hatte der Bärenmann die meisten großen Städte des Heiligen Römischen Reiches gesehen, hatte sich in Belgrad von Osmanen über Allah und seinen Propheten belehren, von Benediktinern in Mainz die Segnungen klösterlichen Lebens preisen und von Hugenotten in Paris die alleinige Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift versichern lassen.
Doch menschliche Behausungen verbrennen und Mutter und Kind auseinanderreißen wegen Gottesnamen, Messeform und frommen Schriften? Das überstieg die Vorstellungskraft des Bärenmanns und womöglich sogar sein an sich nicht sehr ausgeprägtes sittliches Empfinden. Der Verdacht, menschliche Dummheit, Gier und Geltungssucht tarnten sich hier mit frommem Mäntelchen, hatte ihn schon in seiner Jugend beschlichen und wuchs seitdem eher, als dass seine Erfahrungen ihn zerstreut hätten.
Und jetzt betrachtete er einen Knaben, der ihm zugefallen war, ohne dass er recht wusste wie und von wem – wieso der »Ewige« und wer war »Adonai«? Stephan seufzte und erschrak, weil ihm dämmerte, dass alles anders werden würde durch so ein Kindchen.
Die Bärin hob die Nase, grunzte und schnüffelte. Stimmen und Schritte unten im Wald kamen näher. Das Kindchen fing an zu wimmern. Hast befiel den Bärenmann: Er legte den Knaben vor dem Tier ab, kramte Schnupftuch aus der Hose und Honig undSchnaps aus dem Tornister. Das Tuch mit beidem getränkt und dem Knaben ins Wimmermäulchen gestopft – schon saugte dieser und gab Ruhe.
Stephan sprang auf und lauschte. Bereits drei Männerstimmen konnte er unterscheiden. Zwei Steinwürfe entfernt, wenn es hochkam, riefen sie einander Flüche zu und gaben einander die Spuren bekannt, die sie entdeckten.
Der Lederbeutel!
Stephan eilte hin und hob ihn auf. Ziemlich schwer. Dukaten? Auch Zopf und Klinge klaubte er aus dem Unterholz. Wieder lauschte er – noch höchstens einen Steinwurf entfernt, die Stimmen! Sein Blick fiel auf eine Mulde. Drei Schritte, ein Sprung über Blaubeersträucher, und er beugte sich über sie. Die Erdröhre eines Fuchsbaus öffnete sich in der Muldenseite.
Schnell hinein in die Mulde mit Lederbeutel und Zopf. Umdrehen, zur Bärin laufen, das Kind greifen und zurück zur Mulde. Die Schritte der Männer wurden jetzt immer lauter. Stephan verstand bereits jedes Wort. »Komm schon, Cura!«, zischte er. »Komm schon her zu mir.«
Er legte das nuckelnde Kind neben Beutel und Zopf und ließ die Bärin sich über der Mulde ausstrecken. Aus einem Haselnussstrauch bog er einen starken Ast und setzte die Messerklinge an.
Und schon tauchten sie aus dem Unterholz zwischen den Bäumen auf – vier Männer: drei Bergbauern und ein Waffenknecht des Landeshauptmanns. Stephan erkannte ihn am Degen und der Armbrust.
»Was treibst du hier, Kerl?«, fuhr der Waffenknecht ihn an, ein grimmiger Schlagetot.
»Einen Bärenmann für meine Bärin habe ich gesucht.« Mit einer Kopfbewegung deutete Stephan auf die Bärin. »Und gefunden. Bärenjunge sind teuer. Sie im Wald machen zu lassen kostet nur ein paar Tage Zeit.«
»Der Stephan!«, rief einer der Bauern. »Stephan, der Schausteller, der Krabat! Man kannte seinen Vater, den Unterkofler, den Falkner. Braver Mann!«
»Krabat« – so wurde ein Kroate noch vielerorts im Reich geheißen.
»Jetzt will sie nicht mehr weiter«, sagte Stephan, wieder auf die Bärin deutend. »Also brauche ich die Rute.«
Die Bärin riss den Rachen auf und gähnte. »Ist ein Judenweib vorbeigekommen hier?« Der Schlagetot guckte mürrisch. »Hat einen Judenbalg dabei.«
Daher also wehte der
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