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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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sich, wie lange der König schon wusste, dass seine Kammerherren und Wachen ihn jedes Mal, wenn sie den Palast durchquerten, durch einen Reigen unnötiger Abbiegungen führten.
    Der König schritt zwar selbstbewusst vor seinem Gefolge aus, doch als er den Hauptgang erreichte, überquerte er ihn und bog in einen engeren Korridor ein, der zu einem noch engeren Treppenhaus führte. Die Kammerherren, die sich bis jetzt vielleicht Sorgen gemacht hatten, dass ihr Spiel aufgeflogen sein könnte, begannen sich stattdessen zu amüsieren. Der König stieg drei
Treppen hinauf, ohne zu sprechen, und bog in einen von kleinen Fenstern unter dem Dach erhellten Gang ein. Beiderseits davon lagen winzige Schreibzimmer. Verblüffte Gesichter schauten aus den Türen hervor, und Männer, die mit Schriftrollen und Schreibtäfelchen in der Hand unterwegs waren, erstarrten und verneigten sich, als der König vorüberkam. Costis hatte keine Ahnung, wo sie waren, und nahm auch nicht an, dass die Kammerherren es wussten. Sie folgten dem König alle in ein Schreibzimmer, hindurch und auf den Balkon dahinter; dann blieben sie stehen.
    Sie waren in einer Sackgasse und blickten auf etwas hinaus, das einst ein Innenhof gewesen war und nun einen zum Teil überdachten Saal bildete, der in der Mitte einen Lichtschacht aufwies. Das Dach über ihren Köpfen ruhte auf Balken, die von dem Balkon zu ihren Füßen ausgingen.
    Die königlichen Gemächer lagen irgendwo jenseits des Atriums, und wenn einem keine Flügel wuchsen, gab es keinen Weg, quer hinüberzugelangen.
    Die Kammerherren lächelten.
    Der König starrte böse das Geländer vor sich an. »Vielleicht war das doch nicht der direkteste Weg«, sagte er. Die Kammerherren lächelten weiter, als er sie zurück durch die Gänge und wieder an den Männern vorbei führte, die immer noch mit ihren Schriftrollen und Schreibtäfelchen dastanden. Sie verbeugten sich erneut, als der König vorüberging. Er stieg die Treppe wieder hinunter, aber nur ein Stockwerk, bog nach links ab, dann wieder links, um das Atrium zu umgehen, und dann rechts, um in einen Gang jenseits davon zu gelangen. Nun waren sie wieder in vertrauten Gefilden, und sogar Costis wusste, wohin sie sich wenden mussten, um die Gemächer des Königs zu erreichen.
    Trotz des Umwegs kamen sie zu früh und unerwartet dort an. Die Gardisten auf dem Gang nahmen Haltung an, und einer
von ihnen klopfte an den Türrahmen, um die Soldaten drinnen darauf aufmerksam zu machen, dass der König nahte. Der König ging durch die Tür und drehte sich auf dem Absatz zu seinen Kammerherren um.
    »Raus!«, sagte er.
    »Euer Majestät …«
    »Raus«, sagte der König. »Alle miteinander.« Er winkte auch die Wachen zur Tür.
    »Euer Majestät, Ihr wollt doch nicht etwa sagen…«
    »Seine Majestät will genau das sagen … und Seine Majestät hat jetzt genug. Ihr könnt gehen. Nehmt Euch einen freien Tag. Trinkt eine Tasse Kaffee. Plaudert mit Euren Liebsten. Raus.«
    »Wir können Euch doch nicht Euch selbst überlassen«, sagte Sejanus in aalglattem, herausforderndem Ton.
    »Euer Majestät, das wäre nicht richtig«, protestierte der Truppführer, der einzige, der sich ernsthaft Sorgen machte. Er kannte seine Pflichten, und zu denen gehörte es nicht, den König absichtlich unbewacht zu lassen. Teleus würde dafür sorgen, dass er einen Kopf kürzer gemacht wurde.
    »Ihr könnt mich vom Gang aus bewachen. Die Tür ist die einzige, die in diese Gemächer führt. Ihr könnt mir«, sagte er zu seinen Kammerherren, »auch vom Gang aus aufwarten.«
    »Euer Majestät, das ist unannehmbar«, erklärte Sejanus. »Wir können Euch einfach nicht ganz allein lassen.«
    Der König sah aus, als wollte er die Worte geradewegs zurück in Sejanus’ Gesicht schleudern. Dann blieb sein rachsüchtiger Blick an Costis hängen.
    »Costis kann bleiben«, sagte er.
    »Ich glaube nicht, Euer Majestät.« Sejanus lächelte die Worte herablassend heraus, aber der König unterbrach ihn.
    »Bin ich König«, sagte er ausdruckslos, »oder soll ich zur Bekräftigung meine Frau herrufen?«
    Er würde nie vor der Königin zugeben, dass er seine eigenen Kammerherren nicht in den Griff bekam, aber keiner von ihnen, nicht einmal Sejanus, konnte das Risiko eingehen, es darauf ankommen zu lassen.
    »Da löckt aber einer wider den Stachel!«, murmelte jemand, als sie durch die Tür auf den Gang hinausströmten. Lamion war der letzte, der das Zimmer verließ. Er schaute sich um und zog

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