Der Gebieter
– darüber zu unterrichten, welche Intrigen sich an ihrem Hof abspielten. Dass Eugenides seine Machtbefugnisse nicht ausübte, führte dazu, dass andere sich in Stellung brachten, um sie für ihn auszuüben. Verschiedene Parteien hofften, den König auf ihre Seite ziehen und ihn zum Sprachrohr ihrer Interessen machen zu können.
Die Königin sah kurz Eugenides an, dann wieder den Archivsekretär. Es war ihr nicht entgangen, dass beide Männer, die vorzüglich maßgeschneiderte Kleider trugen, für diesen Anlass Gewänder ausgewählt hatten, die zu denen der Königin passten. Das war nicht mit so viel Vorbedacht geschehen, wie man hätte annehmen können: Attolias Garderobe war recht einförmig, obwohl ihr neuer Ehemann ihr vorgeschlagen hatte, sie zu erweitern. Es amüsierte sie, dass die Mode, für die sich die beiden
jeweils entschieden hatten, überhaupt nicht zueinander passte. Eugenides’ locker geschnittener Mantel medischen Stils, der beinahe einem Morgenrock glich, bestand aus roter, ins Orangefarbene hinüberspielender Seide. Relius kleidete sich in kontinentalem Stil; seine in dunklem Weinrot gehaltene Tunika war eng anliegend geschnitten und auf den kurzen Samtumhang abgestimmt, den er sogar im Sommer bevorzugte.
Seine Kleider brachten seine Macht zum Ausdruck. Von allen Ratgebern der Königin war er als einziger schon ihre ganze Herrschaft hindurch an ihrer Seite. Er war als unehelicher Sohn eines Verwalters in der Villa eines Barons aufgewachsen, und sie hatte gleich, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, gesehen, dass er ihr würde beibringen können, was sie mehr als alles andere benötigt hatte: die Fähigkeit, mit Menschen und Macht umzugehen. Er war ihr Lehrer gewesen, und sie hatte ihn mit Reichtum und Einfluss belohnt.
Eugenides war es langweilig geworden, die Münze von Finger zu Finger zu bewegen. Er begann, sie in die Luft zu werfen und wieder aufzufangen. Er lenkte Relius ab, was Zufall sein mochte, wahrscheinlich aber das wohlberechnete Bemühen war, den Sekretär aus der Fassung zu bringen. Als die Münze höher und höher in die Luft flog, zog Attolia leicht den Fuß an und versetzte dem König einen Tritt gegen den Knöchel. Er zuckte zusammen und drehte sich empört zu ihr um. Die Münze fiel hinter ihm herunter, und er fing sie aus der Luft, ohne hinzusehen.
Er blickte kurz Relius an, dann wieder sie. Ihm war nichts entgangen, davon war sie überzeugt. Eugenides hielt ihr die Münze hin; es war ein Goldstater, der auf einer Seite ihren Kopf und auf der anderen die Lilien von Attolia zeigte.
»Lilien: Ich herrsche. Kopf: Du herrschst«, sagte er und warf die Münze in die Luft.
»Lilien: Du herrschst. Kopf: Du wirfst noch einmal«, sagte Attolia.
Die Münze fiel. Eugenides sah das Geldstück an und zeigte es dann Attolia. »Nicht nötig«, sagte er. Die Münze lag mit der Rückseite nach oben auf seiner Handfläche und zeigte die Lilien von Attolia. Er warf sie noch einmal hoch, dann noch einmal und noch einmal. Jedes Mal landete sie so, dass sie die Lilien zeigte. Er warf die Münze wieder und fing sie diesmal mit der geschlossenen Faust auf. Ohne sie anzusehen, beförderte er sie auf den bestickten Ärmel seines Mantels und zog die Hand weg. Es waren wieder die Lilien.
»Ich glaube, wir sind hier fertig«, sagte Attolia. »War sonst noch etwas, Relius?«
»Nein, Euer Majestät.«
Mit gekünstelter Gleichgültigkeit zuckte der König die Achseln und ließ die Münze vom Ärmel in die Hand verschwinden. »Danke für Euren Bericht, Relius. Wie immer bin ich dankbar für Eure ausführliche Darlegung.« Er neigte den Kopf, und Relius verließ unter Verbeugungen den Raum.
Der König ließ sich selten eine Gelegenheit entgehen, den Hauptmann der Leibwache zu beleidigen, aber er war unbeirrbar höflich zum Archivsekretär. Relius wurde davon übel. Im Augenblick war der König noch eine Marionette der Eddisier, aber das würde sich ändern. Binnen eines Jahres würde er zur Marionette irgendeines Mächtigen in Attolia geworden sein – wenn es nach Relius ging, zur Marionette der Königin. Wie Teleus würde er um jeden Preis bei seiner Königin bleiben.
Er hätte den Münzwurf gern als Taschenspielertrick abgetan. Jeder, der im Zirkus auftrat, konnte kontrollieren, wie eine Münze fiel, aber verwirrt hatte es ihn dennoch. Die Königin war nicht verstört gewesen; sie hatte eher so gewirkt, als fühle sie sich bestätigt. Der König dagegen war nach jedem Münzwurf
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