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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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in denen verschiedene Ratgeber und Minister verzweifelt versuchten, ihm trotz seines offensichtlich mangelnden Interesses etwas über seine Verantwortung einzutrichtern.
    Die Zusammenkunft, bei der es um den Weizenanbau ging, schien ein bloßes Aufsagen der Erträge zu sein, die jedes einzelne Weizenfeld im Laufe des letzten Jahres abgeworfen hatte. Costis versuchte erfolglos, aufmerksam zu bleiben. Sie lauschten der Liste schon eine halbe Stunde lang, als der König fragte: »Worin unterscheidet sich der Weizen?«
    »Wie bitte, Euer Majestät?«
    »Die verschiedenen Weizensorten, die Ihr immer erwähnt. Worin unterscheiden sie sich?«
    Die beiden Männer sahen einander an. Der König wartete zurückgelehnt auf seinem Stuhl, einen gestiefelten Knöchel aufs Knie gelegt.
    »Pilades wäre hier eine große Hilfe. Wenn Eure Majestät uns bitte entschuldigen mögen?«
    Der König machte eine Handbewegung, und die beiden Männer eilten davon und kehrten mit Pilades zurück, einem älteren Mann mit buschigem weißem Haar; sein runzliges Gesicht war entzückt.
    »Wenn Eure Majestät hersehen mögen  – ich habe Proben hier.« Er griff in eine Reihe kleiner Beutel, die er bei sich trug, und streute Handvoll um Handvoll Korn auf den Tisch. Eine Staubwolke stieg auf, und der König zuckte zurück und wedelte sich mit der Hand vor dem Gesicht herum. Pilades bemerkte es
gar nicht. Er wies den König auf das Wachstum und die Anzahl der Samen sowie ihre Form hin, schüttete weitere Häuflein auf den Tisch und erklärte die Vorteile jeder Art: welche die größten Ernteerträge ermöglichte, welche die ungünstigsten Wetterbedingungen überstand, welche im Sommer oder im Herbst ausgesät werden konnte. Costis wusste vieles davon schon, weil er auf einem Bauernhof aufgewachsen war. Manches war ihm allerdings neu, und nachdem der Vortrag einmal begonnen hatte, war er eindeutig nicht mehr aufzuhalten.
    Der König, der normalerweise während solcher Stunden an ein Fenster davonspazierte, saß reglos da. Er hatte kaum eine Wahl. Wenn er sich auch nur auf seinem Stuhl bewegte, lehnte Pilades sich näher heran und beugte sich eifrig über ihn. Gewiss bekam er selten Gelegenheit, sich in diesem Maße zu äußern, und er wollte die Aufmerksamkeit des Königs nicht gern wieder verlieren. Der König machte ein paar vergebliche Versuche zu entkommen, war aber am Ende doch gezwungen, stillzusitzen und zuzuhören.
    Über den Kopf des Königs hinweg tauschten die Ratgeber und Kammerherren Blicke, die begeisterte Bewunderung verrieten. Als Pilades endlich zum Schluss kam, dankte ihm der König mit ausdrucksloser Miene. Er dankte auch den beiden Männern, mit denen der Unterricht begonnen hatte, und schlug vor, dass sie vielleicht bei einem weiteren Treffen die Stunde zu Ende bringen oder ihm  – noch besser!  – einfach eine schriftliche Zusammenfassung vorlegen könnten, die er dann irgendwann überfliegen würde. Sie nickten; der König erhob sich und flüchtete auf den Gang hinaus. Sobald er dort draußen und die Tür hinter ihm geschlossen war, schlug er die Hand vors Gesicht.
    »Den Göttern sei Dank habe ich nicht nach dem Dünger gefragt!« , sagte er.
    Costis hätte beinahe laut aufgelacht. Ein Blick verriet ihm,
dass die anderen Mitglieder des Gefolges sich ebenfalls amüsierten, aber sie grinsten hämisch bei dem Gedanken, dass der König noch einen zweiten Vortrag dieser Art hätte durchstehen müssen. Nur Costis hatte die gleiche Vision wie der König: die, wie Pilades hingebungsvoll Handvoll um Handvoll verschiedensten Tierkots auf den Tisch fallen ließ und die jeweiligen Vorzüge erörterte.
    Der König begegnete Costis’ Blick und lächelte. Costis sah beiseite. Als er zurückschaute, war auch das Lächeln des Königs verschwunden.
    »Meine Herren, ich glaube, ich habe für einen Morgen genug gelitten. Pelles, warum teilt Ihr dem Nächsten, mit dem ich verabredet bin, nicht mit, dass ich nicht komme?«
    »Eure Majestät soll sich vor dem Mittagessen mit Baron Meinedes treffen«, sagte Sejanus.
    »Nun, das werde ich nicht tun«, entgegnete der König. »Ich kehre zurück in mein Schlafzimmer.«
    Pelles verneigte sich und zog sich zurück. Die Übrigen brachen den Gang entlang auf. An der ersten Kreuzung meldete sich der König erneut zu Wort: »Bitte direkt zurück in mein Zimmer, meine Herren.«
    Sejanus verneigte sich und überließ dem König die Führung. Eugenides trat vor. Er ging ohne Zögern voran, und Costis fragte

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