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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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die Dampfkammer in den Umkleideraum dahinter zu hasten. Das Dampfbad war so früh am Morgen gewöhnlich leer, und die wenigen Männer, die darin saßen, kannten ihn und wussten, warum er so in Eile war. Sie riefen ihm statt Flüchen aufmunternde Worte hinterher, als er mit einem kalten Luftzug an ihnen vorbeisauste.
    Zwischen dem Dampfbad und den Umkleideräumen wartete
ein Diener mit einem Eimer voll warmem Wasser, das er über ihn schüttete. Costis seifte sich rasch ein und wurde noch einmal übergossen. Der Diener reichte ihm ein Handtuch, und er trocknete sich ab, während er zu seinen Kleidern eilte. Mithilfe des Dieners kleidete er sich so schnell wie möglich an und ließ sich die Beinschienen anlegen und den Brustpanzer an den Schultern und unter den Achseln festschnallen. Er beugte den Kopf, so dass der Mann ihm kurz die Haare durchkämmen konnte, während er nach einer Münze tastete, die auszugeben er sich nicht leisten konnte. Es war eine rituelle Gebärde. Der Diener winkte lächelnd ab.
    Verlegen ließ Costis das Geldstück wieder in die Börse fallen, die von seinem Gürtel baumelte.
    »Ihr macht mich berühmt«, sagte der Mann und klopfte ihm auf die Schulter, als er ihn zur Tür herumdrehte. »Diener des persönlichen Leibwächters des Königs!«
    Costis rannte zwischen den Baracken hindurch; mit einer Hand hielt er sein Schwert fest, damit es ihm nicht gegen die Beine schlug, mit der anderen den Brustpanzer, damit er nicht hochrutschte und unter den Armen scheuerte. Als er das Ende der Baracken erreichte, musste er aufhören zu rennen und gehen, so schnell, wie er nur irgend konnte, während er gleichzeitig die Würde der Garde Ihrer Majestät wahrte.
    Er stieg die Stufen in den oberen Palast empor und ging durch die verschlungenen Gänge und quer durch Atrien und Lichthöfe, bis er den letzten offenen Hof vor dem Torbogen, der zur Terrasse führte, erreichte. Der Wachsoldat dort schüttelte den Kopf. Der König war noch nicht zum Frühstück heruntergekommen. Costis kehrte um, zu einer nahen Treppe, und wartete unten, um zu lauschen.
    Der König wählte den Zeitpunkt für die morgendlichen Waffen übungen stets sehr genau aus. Sie bestanden immer noch aus
derselben langweiligen Wiederholung von grundlegenden Bewegungen, und wenn sie sich endlich an ihr Ende geschleppt hatten, blieb Costis gerade noch genug Zeit, sich zu waschen, doch er kam nicht dazu, sich im Dampfbad auszuruhen oder auch nur ein heißes Bad zu nehmen. Der König bemaß die Zeit nie so kurz, dass Costis eine Entschuldigung dafür gehabt hätte, das Waschen zu überspringen und anders als tadellos ordentlich zum Dienst zu erscheinen, und so beeilte er sich. Wenn er Glück hatte, gelangte er zu den Gemächern des Königs, bevor der König sein eigenes, weitaus aufwändigeres Bad beendet hatte und angekleidet war. Wenn Costis zu spät kam, konnte er auf der Frühstücksterrasse zum König stoßen und unauffällig seinen Platz neben dem Torbogen einnehmen. Der König sagte nichts dazu, obwohl ihm Costis’ Erscheinen nie entging; auch die Königin schwieg, obwohl sie ihn jedes Mal, wenn er kam, undurchdringlich über den Frühstückstisch hinweg musterte. Der schlimmste Fehler, den Costis begehen konnte, war der, dem König auf dem Weg nach unten zu begegnen, denn das verschaffte dem König die ebenso eindeutige wie ausgedehnte Gelegenheit, Bemerkungen über Costis’ Zuspätkommen zu machen, seine Pflichtvergessenheit, sein Erscheinungsbild und seine Unfähigkeit, auch nur den grundlegenden Anforderungen an ein Mitglied der königlichen Garde zu genügen. Wenn der König es versäumte, sich über sein Haar, den mangelnden Glanz seiner Uniformschnallen oder den Zustand der Lederriemen zu beklagen  – all diesen Dingen widmete Costis sich übrigens stundenlang bis spät in die Nacht, um sie zu vervollkommnen  –, dann lenkte Sejanus seine Aufmerksamkeit auf den Makel. Für einen Verbündeten, der einem Notizen über die medische Sprache und die politische Geschichte Attolias zugehen ließ, war dieses Verhalten ungewöhnlich, aber Sejanus schien weit größeres Interesse an dem unterhaltsamen Wettstreit zwischen König und
Gardisten zu haben als daran, wer ihn gewann. Sejanus mochte Scherze. Costis wurde ihrer langsam müde.
     
    Nach dem Frühstück küsste der König die Königin  – eine Angewohnheit, die Costis immer noch anekelte  – und ließ sich herab, sich zu seinen täglichen Unterrichtsstunden führen zu lassen,

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