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Der Gebirgspass

Der Gebirgspass

Titel: Der Gebirgspass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirill Bulytschow
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jedoch fand ihr Opfer, stieß ihre Nadeln in
die warme Haut und aus den Nadeln sprossen dann junge
Triebe. Diese Kugeln waren sehr gefährlich, man mußte zu
ihrer Reifezeit äußerst vorsichtig im Wald sein, sonst
behielt man Narben fürs ganze Leben zurück.
„Das wär’s“, sagte Dick, „die Nadeln sind alle raus. Am
wichtigsten ist aber, daß keine in die Augen gekommen
sind.“
„Sind es viele Narben?“ fragte Marjana leise. „Sie werden deiner Schönheit keinen Abbruch tun“,
erwiderte Dick. „Doch jetzt schnell nach Hause, damit Egli
Fett drüberstreichen kann.“
„Ja, du hast recht.“ Marjana fuhr sich mit Hand über die
Wange. Dick bemerkte es und schlug ihr auf die Finger. „Bist du verrückt? Du hast Pilze angefaßt, die Blume
berührt. Du wirst dir noch eine Infektion einhandeln.“ Die Pilze waren unterdessen aus dem Sack gekommen,
hatten sich zwischen den Wurzeln verkrochen, einigen war
es sogar gelungen, sich halb in die Erde zu graben. Dick
half Marjana beim Einsammeln, denn sie weigerte sich,
ohne Pilze zurückzukehren. Nur das Veilchen fanden sie
nicht mehr. Dick gab Marjana den Sack wieder, er war
leicht, und für ihn war es wichtig, kein Gepäck zu haben.
Im Wald entschieden Sekunden, da mußten die Hände des
Jägers frei sein.
„Sieh mich an“, sagte Marjana und nahm den Sack. Ihre
kühle, schmale, feste Hand mit den abgebrochenen
Fingernägeln blieb einen Augenblick auf Dicks Hand
liegen. „Bin ich sehr verstümmelt?“
„Ist doch lächerlich“, sagte Dick, „alle haben diese
Punkte im Gesicht. Ich auch. Bin ich deswegen
verstümmelt? Das ist eben die Tätowierung unseres
Stammes.“
„Die Tätowierung?“
„Ja, hast du’s vergessen? Der Alte hat uns im
Geschichtsunterricht erzählt, daß sich die wilden Stämme früher bewußt mit solchen Verzierungen schmückten. Sie waren so etwas wie eine Auszeichnung. Aber das weißt du natürlich nicht, hast ja immer bloß zum Fenster
rausgeschaut.“
„Das waren Wilde“, entgegnete Marjana, „mir aber tut’s
weh.“
„Wir sind ebenfalls Wilde.“
Dick war bereits vorangegangen, ohne sich
umzudrehen. Doch Marjana wußte, daß er alles hörte. Er
hatte das Gehör eines Jägers. Marjana sprang über den
graußen Stengel einer Räuberliane.
„Später juckt es“, sagte Dick, „du wirst nicht schlafen
können. Das wichtigste ist, nicht zu kratzen, dann gibt es
keine Spuren. Aber die meisten kratzen.“
„Ich nicht“, sagte Marjana.
„Im Schlaf vergißt du’s und kratzt doch.“
Es regnete nun stärker, die Haare klebten Marjana am
Kopf, Tropfen fielen ihr von den Wimpern, hinderten sie
am Sehen, doch für die Wangen war das kühle Naß
angenehm. Sie sagte sich, daß Dicks Haare mal geschnitten
werden müßten, denn sie fielen auf die Schultern und
störten. Es war schlecht, daß er so allein lebte. Alle lebten
zusammen, nur er war nach dem Tod seines Vaters für sich
geblieben, hatte sich daran gewöhnt.
„Spürst du eine Gefahr?“ fragte Marjana, als bemerkte,
daß Dick schneller ging.
„Ja“, sagte er, „hier sind Tiere. Wahrscheinlich
Schakale. Ein ganzes Rudel.“
Sie begannen zu laufen, doch das war im Wald schwer.
Wer kopflos drauflosrannte, wurde von einer Liane oder
einer Eiche zum Mittag verspeist. Die Pilze schlugen im
Sack um sich, aber Marjana wollte sich nicht von ihnen
trennen. Bald mußte der Holzeinschlag kommen und
danach die Siedlung. Am Zaun würde auf jeden Fall eine
Wache stehn.
Sie sah, wie Dick das
Messer aus dem Gürtel holte
und die Armbrust fester packte.
Auch sie holte ihr Messer aus
dem Gürtel, das freilich
schmaler und dünner war, mehr
geeignet, Lianen zu
durchtrennen oder Pilze
abzuschneiden. Gegen ein
Rudel Schakale dagegen half
das Messer kaum, besser war
da noch ein Stock.
Sie liefen bereits den Pfad
entlang — die Schakale wagten
sich selten so nahe ans Dorf
heran. Doch am Morgen hatte
Thomas sie beide passieren lassen und dabei von den
Tieren erzählt, die nachts so dicht herangekommen waren,
daß Oleg sie nur mit Mühe hatte vertreiben können.

    Oleg aß die Suppe auf, er stellte die Kasserolle mit dem Bodensatz aufs Bord. Die Schüler tappten mit bloßen Sohlen über den Lehmfußboden, und durch eine Schießscharte in der Wand sah er, wie sie, kaum daß sie zur Tür heraus waren, in eine riesige Pfütze sprangen, die sich im Laufe der letzten Tage angesammelt hatte. Nach allen Seiten hin stiebten Spritzer auf. Dann rief einer: „Da, ein Wurm!“ Die Kinder wollten ihn fangen,

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