Der gefrorene Rabbi
Rebounding-Kurs (bei dem beschwerte Hula-Hoop-Reifen und Minitrampoline zum Einsatz kamen), mit dem sie ihren Körper zu formen gedachte, damit er zu ihrem violett getönten Haar passte. Anscheinend hatten sie sich mit Bernies Tod abgefunden und hießen Lou Ella herzlich willkommen. Sie baten sie ins Haus, wo sie händchenhaltend in den tiefen Polstern ihres Sofas saßen. Lou traute dem Frieden nicht. Entweder spielten ihr die beiden hier traute Zweisamkeit vor, oder sie hatten sich einer Lobotomieoperation unterzogen.
Als sie den Schock der freundlichen Begrüßung verdaut hatte, fragte sie ganz offen: »Wie kommen Sie zurecht?«
Sie antworteten ausweichend. Mrs. Karp pries wieder die Vorzüge ihres Übungsprogramms, während ihr Mann darauf verwies, ganz von der Arbeit in Anspruch genommen zu sein. Dann trat Schweigen ein, und beide warteten anscheinend darauf, dass der andere zuerst den Mund aufmachte. Schließlich redeten beide gleichzeitig.
»Tabletten«, bekannte Mrs. Karp, und ihr Mann ergänzte: »Wir besuchen den rebbe.« Seine Frau stieß ihn unauffällig in die Nieren, und er revanchierte sich nicht ganz so unauffällig. Mit gekränkter Miene fuhr sie zu ihm herum, ehe auch sie gestand: »Wir besuchen den rebbe.«
Das Mädchen war wie vor den Kopf gestoßen. Mit Verlaub, so fragte sie, wie konnten sie Trost bei dem Mann suchen, der ihren Sohn kaltgemacht hatte? Nach einem ratlosen Achselzucken kam die Frau mit einem wirren Sprichwort über Vergebung als Würze des Lebens daher, während ihr Mann fast trotzig erklärte: »Er ist fast zu einem zweiten Sohn für uns geworden.«
Ermutigt durch sein Vorpreschen, wenngleich immer noch ein wenig beschämt, fügte Mrs. Karp hinzu, dass sie sich seit einiger Zeit mit Adoptionsplänen trugen. Dann beugte sie sich vor und berührte das Knie des Mädchens durch das Loch in der Jeans. »Sie sollten auch mal hinfahren.« Es klang, als wollte sie ihr einen guten Kosmetiksalon empfehlen.
Entsetzt bedankte sich Lou Ella für die Gastfreundschaft, lehnte die Einladung zu Pralinen und Tee ab und verließ ziemlich unvermittelt das Haus. Einerseits konnte sie nur den Kopf schütteln über Mrs. Karps Vorschlag (er war wirklich voll schräg), andererseits schien er einen latenten Wunsch in ihr wachgerufen zu haben, denn sie spürte förmlich, wie gegen all ihre besseren Instinkte der Drang in ihr wuchs, Rabbi ben Zephir aufzusuchen. Schließlich wurde das Verlangen so stark, dass sie erkannte, was sie schon längst hätte einsehen müssen: Sie musste ihn persönlich fragen, warum er diese Tat begangen hatte. Was für einen Grund, so fragte sie sich zum x-ten Mal, konnte er gehabt haben, ihren Freund ins Jenseits zu befördern? Die Antwort würde ihr ermöglichen, einen Schlussstrich zu ziehen, und das konnte doch nicht schaden. Doch irgendwie hatte Lou den nagenden Verdacht, dass sie im Gegenteil mit dem ganzen Theater wieder von vorn anfangen wollte.
Sie musste in Memphis den Nachtbus nehmen, denn nur so konnte sie das Shuttle erreichen, das die Verwandten und Freunde der Häftlinge aus dem nahe gelegenen Ort Wartburg (eine Tankstelle und ein verrosteter Mähdrescher zwischen Unkraut) zum Gefängnis beförderte. Als sie Kontakt mit der Anstaltsleitung aufnahm, erfuhr sie zu ihrer Überraschung, dass sie bereits auf der Besucherliste des Rabbis stand. Eigentlich hatte sie den Mörder doch nie persönlich kennengelernt. Aber das war noch eins der unbedeutenderen Rätsel im Zusammenhang mit Bernies Tod. In äußerst vager Form informierte sie ihre Mutter über die bevorstehende Reise und erntete nur ein müdes Nicken von Mrs. Tuohy, die sich beklagte, dass sie dadurch das gesamte Wochenende die kleine Sue Lily am Hals hatte. »Okay«, seufzte Lou, »ich nehm sie mit.« In Wahrheit empfand sie die Nähe ihrer zumeist teilnahmslosen Schwester sogar als tröstlich. Doch als vor dem Besuch die Leibesvisitation begann, wäre es ihr lieber gewesen, die Kleine zu Hause gelassen zu haben. Es war schlimm genug, furchtbar sogar, als die Beamtinnen Lou unter Aufsicht eines männlichen Wärters zwangen, ihren Ballettrock und ihr Batikhöschen auszuziehen, ihre schenkelhohen Strümpfe zurückschnappen ließen und ihren Intimbereich inspizierten. Aber dass sie mit Sue Lily auf ganz ähnliche Weise verfuhren und sie wie eine Handpuppe behandelten, war zu viel. »Wir hauen ab«, teilte sie einer Matrone mit. Doch diese ignorierte Lou einfach und führte sie mit ihrer austernäugigen
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