Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
dass mich ein Vorgesetzter anhält und wissen will, wer du bist und wohin ich mit dir will. Darüber muss ich nachdenken. Aber noch einmal: Rühr dich hier nicht von der Stelle! Und keinen Ton, verstanden? Auch kein Husten oder Niesen! Und werde nicht ungeduldig. Es kann womöglich Morgen werden, bis ich wieder zurückkomme. Bis dahin kann die Lampe ausgebrannt sein, aber das musst du in Kauf nehmen.«
»Wenn es nur das ist, will ich Gott und dir auf Knien danken!«, versicherte Jona.
»Nur guten Mut!«, redete ihm Flavius Silvanus zu, schloss die Tür hinter dem Vorhang auf und war im nächsten Moment verschwunden.
Jona hörte noch, wie er von der anderen Seite wieder abschloss. Dann war er allein mit seinen bangen Zweifeln und der Hoffnung, mit viel Glück und der Hilfe des Legionärs doch noch entkommen zu können.
3
Die Zeit kroch dahin und füllte wie Tropfen, die mit trägem Rhythmus in ein riesiges Fass fielen, die Stunden. Dann und wann drangen aus der Wachstube gedämpftes Lachen, auch mal ein freudiger Ausruf oder ein Fluch zu ihm in die Waffenkammer. Aber meist waren die Stimmen drüben zu leise, als dass er etwas hätte verstehen können.
Das Warten und die Ungewissheit, ob Flavius Silvanus auch wirklich einen Weg fand, um ihn aus der Burg zu schmuggeln, oder ob sich alle Hoffnung als trügerisch erweisen würde, zehrten an seinen Nerven. Dann begann auch die Flamme der Öllampe immer mehr in sich zusammenzufallen, bis sie noch einen Moment flackerte und schließlich völlig erlosch. Nun umfing ihn schwärzeste Dunkelheit, sodass er nun nicht mehr auf und ab zu gehen wagte. Still blieb er auf der Kiste sitzen, kämpfte gegen die Müdigkeit an, die sich allmählich einstellte, und betete wie noch nie in seinem Leben.
Seine Gedanken irrten hin und her und beschäftigten sich auch eine Weile mit Judas Iskariot. Warum hatte der Jünger seinen Meister verraten, nachdem er doch so lange ein glühender Verehrer des Nazoräers gewesen war? Und jetzt lieferte er Jesus für dreißig lumpige Silberstücke dem Hohenpriester und den Römern aus, die er doch so sehr hasste, dass er einem bewaffneten Aufstand mehr als einmal das Wort geredet hatte, wie Jona von Timon wusste. Und wieso hatte Jesus nichts gegen den Verräter in seinen eigenen Reihen unternommen, obwohl er über den bevorstehenden Verrat offensichtlich bestens informiert gewesen war? Das ergab doch alles keinen Sinn!
Es sei denn... ja, es sei denn, es handelte sich gar nicht um Verrat, sondern um ein raffiniertes Doppelspiel, das Jesus und Judas Iskariot mit dem Hohenpriester und den Römern spielten!
Jona war verblüfft, dass er nicht schon eher auf den Gedanken gekommen war, dass hinter all dem ein vermutlich wohl durchdachter Plan steckte. Jesus vermochte große Wunder zu vollbringen, das hatte er oft genug bewiesen. Wenn er sich nun ganz bewusst an Kaiphas verraten ließ, um dann hier vor aller Welt die Kerkermauern zu sprengen und seine Ketten wie lästige Spreu abzuschütteln, würde das nicht ein über alle Maßen augenfälliges Wunder sein, welches bewies, dass er tatsächlich der Messias war und keine irdische Macht ihm etwas anhaben konnte? Und diese spektakuläre Selbstbefreiung im Herzen von Jerusalem mit seinen Heerscharen von Pilgern würde das Zeichen zum Aufstand gegen die Römer sein!
Ja, nur so fügten sich die scheinbar nicht zueinander passenden Mosaiksteine zu einem klaren Bild zusammen! Und das bedeutete, dass Judas kein verabscheuungswürdiger Verräter war und dass sie alle Jesus falsch eingeschätzt hatten und der bewaffnete Aufstand gegen Rom unmittelbar bevorstand!
Aber was hilft mir das?, fuhr es ihm gleich darauf durch den Kopf. Sein Schicksal würde sich schon in den nächsten Stunden entscheiden. Sein Leben hing davon ab, ob Flavius Silvanus eine Möglichkeit fand, ihn unbemerkt aus der Festung zu bringen. Und das machte ein Wunder ganz eigener Art nötig!
Jona versank wieder in trüben Gedanken.
Plötzlich schreckte er auf und wusste einen Moment lang in der ihn gänzlich umfassenden Schwärze nicht, wo er sich befand. Dann hörte er das vorsichtige Drehen eines Schlüssels im Schloss und erinnerte sich wieder. Er musste doch wahrlich eingeschlafen sein, trotz seiner Ängste! Und nun kehrte Flavius Silvanus zurück - gebe Gott, dass es wirklich so war!
Licht sickerte hinter dem Vorhang zu ihm in die Waffenkammer, und dann trat der Legionär auch schon hinter dem schweren Wandbehang hervor, eine Leuchte in der
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