Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Pontius Pilatus hat sich Jesus vorgenommen und wollte wissen, ob es stimmt, dass er der Messias und der neue König der Juden sei. Und da hat Jesus wieder geantwortet: ›Du sagst es. Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeuge. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme.‹ Darauf soll Pilatus sarkastisch gefragt haben: ›Was ist Wahrheit?‹ Aber auf die anderen Anschuldigungen, die Kaiphas und seine Leute vorgebracht haben, hat der Nazoräer bloß geschwiegen. Der Statthalter konnte noch immer keine Schuld an ihm sehen und wollte ihn nur geißeln und dann aus der Stadt treiben lassen. Aber Kaiphas und seine Gesellen haben auf seinem Tod bestanden. Inzwischen hatte sich auf dem Platz vor dem Prätorium unseres Statthalters, wo diese seltsame Verhandlung stattfand, schon eine große Menschenmenge angesammelt. Eure Priester hatten natürlich ihre Leute darunter, und diese haben die Menschen aufgewiegelt, sodass sie in einem fort geschrien haben: ›Kreuzigt ihn!… Kreuzigt ihn!‹ Das muss ein ganz schöner Tumult gewesen sein. Jedenfalls hat sich Pilatus eine Silberschale mit Wasser bringen lassen, sich darin in aller Öffentlichkeit die Hände gewaschen, für jeden hörbar gerufen: ›Ich wasche meine Hände in Unschuld!‹, und dann das Todesurteil ausgesprochen. Aber vorher wird dieser Jesus natürlich noch gegeißelt.«
Jona, der inzwischen in der Soldatentunika und mit gewickelten Sandalenriemen vor ihm stand, wurde blass. Alles erfüllte sich so, wie es Jesus vorausgesagt hatte. Aber würde er sich wirklich befreien und zum Anführer eines bewaffneten Aufstandes werden?
»Doch das Verrückteste kommt noch und du wirst es nicht glauben«, fuhr Flavis mit Flüsterstimme fort, während er eine der Kisten öffnete und einen leichten ledernen Brustharnisch für ihn heraussuchte. »Es ist doch Brauch, dass unser Statthalter zum Passah-Fest einen Gefangenen begnadigt und freilässt. Da hat er den Mörder dieses Sadduzäers kommen lassen, der dir letzte Nacht im Kerker ans Leben wollte, und ihn neben euren Rabbi gestellt, damit die Menge selbst entscheidet, wer freikommen und wer sterben soll.«
»Nein!«, entfuhr es Jona fassungslos.
»Oh doch! Und die Menge hat sich für diesen Barabbas entschieden. Und ich denke mal, zuvor haben so einige Münzen aus den Beuteln der Priesterschaft den Besitzer gewechselt!«
»Barabbas ist frei?« Jona mochte es kaum glauben.
»So ist es! Und euren traurigen Messias lässt der Statthalter mit zwei anderen Verbrechern draußen vor der Stadt ans Kreuz nageln!«
Jona sank auf eine der Kisten. Ein Schauer ging durch seinen Körper, und ihm war, als würde die Kälte, die nicht allein von dem unterirdischen Gemäuer kam, ihm bis ins Mark dringen. Jesus am Kreuz! Aus dunklen Ahnungen war nun unumstößliche Gewissheit geworden!
»Ja, das ist sein bitteres Schicksal«, sagte Flavius. »Und du wirst zu meiner Abteilung gehören, die ihn auf seinem Weg durch die Stadt und hinaus zur Hinrichtungsstätte eskortiert!«
»Nein, das geht nicht!«, hauchte Jona entsetzt. »Das kann ich nicht! Jesus würde mich erkennen und vielleicht auch andere, die dabei sind! Und überhaupt...«
Der Legionär ließ ihn nicht ausreden. »Du musst!«, sagte er hart. »Es ist deine einzige Möglichkeit, dein Leben zu retten! Du kannst von Glück reden, dass ich das so einrichten kann. Erkennen wird dich keiner, nicht mit dem hier auf dem Kopf!« Er reichte ihm einen plumpen Helm, dessen schützende Seitenteile bis zum Kinn reichten und der die Augenpartie mit einem breiten Mittelstück teilte, das die Nase bedeckte.
»Ja, aber...«, begann Jona erneut.
»Kein Aber!« Flavius ließ ihn erst gar nicht ausreden und versuchte, ihn zu beruhigen. »Die von mir befehligte Abteilung ist gerade erst neu zusammengestellt worden. Viele Leute kennen einander noch gar nicht. Und du wirst jemanden ersetzen, der aus einer anderen Garnison stammt, aber nicht in Jerusalem eingetroffen ist. Ein Samariter aus Sebaste mit Namen Julius Sextus, und das wird für heute dein Name sein. Niemand weiß von ihm, nur mein Vater, der hier Quartiermeister und in alles eingeweiht ist. Er nimmt an, dass dieser Julius desertiert ist, was uns ganz recht sein kann. Auf jeden Fall hast du nichts zu befürchten. Du hast nur den Mund zu halten und zu tun, was ich dir und den anderen befehle. Wir exerzieren nicht und halten auch keine Manöver ab, bei denen auffallen könnte, dass du vom
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