Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
König der Juden! Der Zerstörer und Wiedererbauer des Tempels in drei Tagen!«, verspotteten sie ihn.
Jemand rief mit bösartigem Hohn: »Was ist, Jesus? Warum rettest du dich nicht selbst und steigst vom Kreuz herab, wenn du doch Gottes Sohn bist!«
Und einer der Priester sagte laut, damit ihn auch jeder hören konnte: »Anderen hat er geholfen, sich selber aber kann er nicht helfen! Und er will der König über Israel sein? So steige er denn jetzt herab vom Kreuz, dann wollen wir es ihm glauben. Gott soll ihn retten, will er doch Gottes Sohn sein. Soll der ihn nun retten!«
Jesus aber schwieg und litt.
Kein Wunder geschah.
Jona hielt sich ganz hinten. Grauen und Übelkeit würgten ihn, während ihm der Schweiß unter dem Helm hervorrann. Er wollte nicht hinsehen, konnte aber doch nicht anders. Ihm war, als dürfte er jetzt nicht wegblicken, sondern müsste Zeuge dieses Verbrechens sein, das man an Jesus beging.
Flavius hatte indessen den Großteil seiner Abteilung auf die Burg zurückgeschickt, doch Jona und einigen anderen hatte er befohlen, mit ihm bis zum Ende auszuharren. Jona war, als spürte auch Flavius auf einmal, dass dies mehr, viel mehr als die ungerechtfertigte Hinrichtung eines Predigers war, der sich den unversöhnlichen Hass der hohen Priesterschaft zugezogen hatte.
Als auch einer der beiden anderen Gekreuzigten Jesus zu verspotten begann, da gebot ihm der andere Einhalt und rief ihm mit schmerzerfüllter Stimme zu: »Nicht einmal du fürchtest Gott, wo du doch dieselbe Strafe erleiden musst? Und wir hängen zu Recht am Kreuz, weil wir die Taten begangen haben, für die man uns verurteilt hat! Dieser aber hat nichts Unrechtes getan!«
Und da sagte Jesus zu diesem: »Wahrlich, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!«
Weil es aber Rüsttag war und die Leiber der Verurteilten nach jüdischem Gesetz am Sabbat nicht am Kreuz hängen durften, sondern begraben werden mussten, bewirkten fromme Juden bei Pontius Pilatus, dass man den Tod der am Kreuz Hängenden beschleunigte. Und so erhielten die Henkersknechte unter den Soldaten den Auftrag, Jesus und den beiden anderen die Beine zu zerschlagen. Dadurch verloren die Körper ihren letzten Halt am Kreuz und der Erstickungstod setzte nun bald, in der sechsten Stunde des Tages ein.
Doch bevor die Soldaten auch Jesus die Beinknochen brechen konnten, bäumte er sich ein letztes Mal auf und rief gen Himmel: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 70 … Doch Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!… Und verzeihe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!« Augenblicke später kamen ihm seine letzten Worte mit erstickender Stimme über die Lippen: »Es ist vollbracht!« Dann entfuhr seinem sterbenden Leib der letzte Atemzug und das Haupt mit der Dornenkrone fiel ihm auf die Brust.
Jona kauerte wie gelähmt auf dem Felsen, auf den er sich gesetzt hatte, weil ihm die Kraft fehlte, sich aufrecht zu halten. Ihm war, als verdunkelte sich der Himmel und als rollte ein Donnergrollen vom Tempelberg herab. Die Zeit schien zum Stillstand gekommen zu sein. Auch die Stimmen der Vögel waren verstummt.
Und dann hörte er hinter sich Flavius mit einem ehrfürchtigen Schauer in der Stimme sagen: »Wahrhaftig, dieser Mann war ein Gerechter!«
Ja, aber war er auch Gottes Sohn?, fragte Jona sich verstört und merkte gar nicht, dass ihm Tränen über das Gesicht rannen.
5
Die nächtliche Dunkelheit lag wie ein schwerer schwarzer Teppich auf Jonas Brust. Die kleine Öllampe in seiner Kammer war schon vor gut einer Stunde erloschen, und er hatte weder die Kraft noch den Willen gefunden, Öl aus dem Krug nachzufüllen, den Samuel ihm vor zwei Tagen mit anderen Dingen gebracht hatte, und aus der Asche seines kleinen Kochfeuers in der Halle ein Stück Glut zu suchen, um eine Flamme anzublasen.
Immer wieder durchlebte er vor seinem geistigen Auge die Kreuzigung und dabei lag diese doch schon volle sechs Tage zurück. Aber er vermochte sich weder von den erschütternden Bildern noch von den Worten zu befreien, die er Jesus am Kreuz hatte sagen hören.
Flavius hatte nach dem Tod der Gekreuzigten den Rest seiner Männer in die Festung Antonia zurückgeschickt und war unter dem Vorwand, noch etwas erledigen zu müssen und womöglich einen Träger zu brauchen, allein mit ihm in die Stadt gegangen. Dort hatte er ihn durch einen Hinterhof in ein Haus geführt, das einer verwitweten Schwester seines Vaters gehörte.
In einem der
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