Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Hinterzimmer lagen schon einfache, abgetragene Gewänder für Jona bereit, der sich schnell der soldatischen Ausrüstung wie auch der Tunika und der Sandalen entledigte und die Gewänder überzog.
»Wenn mein Vater wieder einmal mit einem Fuhrwerk mit Proviant oder anderem durch die Stadt muss, schaffen wir die Sachen weg«, sagte Flavius, der auf dem Weg zum Haus seiner Tante nicht ein Wort gesprochen hatte, sosehr stand auch er unter dem Einfluss der Tragödie auf Golgatha. Und auch jetzt machte er nicht viele Worte. »Hier trennen sich unsere Wege. Meine Schuld ist abgetragen. Und wenn du klug bist, lässt du dich für einige Zeit nicht sehen. Aber am besten machst du, dass du so schnell wie möglich aus der Stadt und weit weg von Jerusalem kommst. Wir dürfen uns nie wiedersehen. Sollten wir uns dennoch einmal begegnen, so kenne ich dich nicht!«
Jona verspürte das Verlangen, sich mit einer Umarmung bei dem Legionär für seine Rettung zu bedanken. Aber die fast schroffe Zurückhaltung, die in dessen Worten gelegen hatte, ließ ihn davon Abstand nehmen.
So hatte er es bei einem schlichten Dank belassen und sich aus dem Haus gestohlen. Doch entgegen seinem Rat, Jerusalem den Rücken zu kehren, hatte er sich wieder in sein Versteck in der leeren Lagerhalle begeben.
Sechs lange Tage lag das nun schon zurück, und doch erschien es ihm, als wären erst Stunden, ja Minuten vergangen, seit Jesus sein Leben am Kreuz ausgehaucht hatte. Gleich am Morgen nach dem Passah war Elias Diener erschienen und ganz überrascht gewesen, dass er wieder aufgetaucht war. Doch bis auf die beiden Besuche des Dieners war er seitdem allein mit sich, seinen Gedanken, seinen Zweifeln und den Stimmen in seinem Kopf. Und vieles, was er bei seinen Begegnungen mit dem Nazoräer diesen hatte predigen hören, kam ihm wieder in den Sinn. So manches erhielt in der langen, grübelnden Nachbetrachtung eine völlig neue Bedeutung und ein Gewicht, das ihm auf der Seele lastete. Auch fragte er sich, was aus seinem Freund, den Jüngern und der anderen Gefolgschaft von Jesus geworden war. Und Judas Iskariot verfluchte er mehr als einmal. Was immer ihn bewogen haben mochte, Jesus an die Priester und die Römer auszuliefern, ergab mehr denn je keinen Sinn.
Als er das Tor der Lagerhalle knarren hörte, erhob er sich schnell und ging zur Tür seiner Kammer. Das konnte nur Samuel sein, der ihm wieder frisches Brot und andere Köstlichkeiten aus dem Haus seines Herrn brachte. Und vielleicht hatte er sogar wieder eine Wachstafel mit einer Nachricht von Tamar dabei!
Doch es war Tamar selbst, der er im nächsten Augenblick ins Gesicht blickte, als er die Tür seiner Kammer öffnete. »Du?«, stieß er voller Freude hervor.
Sie lächelte ihn glücklich an. »Es hielt mich einfach nicht länger. Ich musste dich endlich wiedersehen, und Elia hat es wohl gespürt, denn er hat es mir nicht verboten, als ich ihn darum bat, dir das Essen bringen zu dürfen! Er vertraut mir, dass ich nichts Unschickliches tue, obwohl es mich eigentlich ja schon in Verruf bringt, dass ich hier allein mit dir zusammen bin.«
»Oh Tamar!«
Sie fielen sich in die Arme und hielten sich lange fest umarmt, als wollten sie einander nie wieder freigeben. Nie hatten sie stärker empfunden, dass sie füreinander bestimmt waren und dass es kein Glück ohne den anderen gab, als in diesem Moment innigster, zärtlicher Umarmung. Wie gern hätten sie sich geküsst, aber das wäre ihnen wie schändlicher Vertrauensbruch ihrem Gönner gegenüber vorgekommen. Und so hielten sie ihre Gefühle und ihr Verlangen nach weiteren Liebkosungen im Zaum.
Jona entfachte schnell die Glut, füllte Öl in die Lampe nach und machte Licht. Tamar überließ er den Schemel, während er sich auf seine Bettstelle setzte.
»Ich soll dir Grüße von Elia ausrichten und sagen, dass alles zum Besten steht«, teilte sie ihm mit einem strahlenden Lächeln mit. »Jetzt nach dem Passah ist in Jerusalem wieder einigermaßen Ruhe eingekehrt, wie er versichert hat. Und niemand scheint nach dir zu suchen.«
»Dem Allmächtigen sei Dank!«
»Er hält es aber dennoch für angebracht, dass du erst noch ein paar Wochen hier bleibst, auch wenn es dir viel Geduld abverlangt«, fuhr Tamar mit betrübter Miene fort. »Er möchte nicht das geringste Risiko eingehen und erst ganz sicher sein, dass dir kein weiteres Unheil droht, ehe du dein Versteck hier verlässt. Aber dann wird sich unser innigster Wunsch endlich erfüllen,
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