Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
hätte jemand plötzlich einen schwarzen Vorhang vor den westlichen Horizont gezogen.
    Als Jona seinen Mantel auf dem Boden ausbreitete, es sich bequem machte und zu den Sternen hochblickte, fiel ihm plötzlich ein, was für einen Tag sie hatten.
    »Timon, heute war Rüsttag 21 !«, stieß er erschrocken hervor. »Der Sabbat hat begonnen!« Der heilige Ruhetag des Volkes Israel begann, wenn am Himmel die ersten drei Sterne sichtbar wurden, und von denen blinkten längst unzählige zu ihnen herab.
    »Stimmt!«, sagte Timon ebenso überrascht. »Das haben wir ja ganz verschwitzt!«
    »Und was machen wir jetzt morgen?«, fragte Jona verunsichert. Am Sabbat war jede Arbeit und körperliche Anstrengung verboten, sollte der Tag doch ein Tag völliger körperlicher Ruhe sein sowie ein Tag des Gebetes und des Studiums der Tora. Nicht einmal das Anzünden eines Kochfeuers war erlaubt. Auch durfte man nicht weiter als neunhundert Schritte gehen.
    Timon nagte an seiner Unterlippe, als ringe er mit sich selbst, bevor er schließlich sagte: »Wir haben gar keine andere Wahl, als unseren Marsch morgen in aller Frühe fortzusetzen. Gott wird es uns schon verzeihen, wenn wir keine Synagoge aufsuchen und uns auch sonst nicht an die Sabbatgebote und -verbote halten können. Denn wenn man auf der Flucht ist, kommt man mit neunhundert Schritten nun mal nicht weit. Und wir können es uns einfach nicht leisten, uns hier einen ganzen Tag auszuruhen.«
    »Nein, das können wir eigentlich nicht«, stimmte Jona ihm bei, fühlte sich jedoch recht unwohl bei dem Gedanken, den Sabbat zu missachten. »Aber andererseits...« Er führte seinen Einwand nicht zu Ende, was auch nicht nötig war.
    »Mir gefällt das auch nicht, Jona, das kannst du mir glauben! Auch mir ist der Sabbat heilig«, versicherte Timon, der nur zu genau wusste, was seinen Gefährten beschäftigte. »Aber hier geht es um unser Leben, Jona! Die Leute, die Berechja losgeschickt hat, um uns wieder einzufangen, werden sich nämlich einen feuchten Kehricht um den Sabbat kümmern, darauf kannst du Gift nehmen!… Nein, wir müssen morgen weiter!«
    »Ja, du hast Recht. Warum sollen wir, wo wir uns in Lebensgefahr befinden, Gewissensbisse haben, wenn sogar die frommen Schriftgelehrten allerlei raffinierte Möglichkeiten austüfteln, wie man einzelne Sabbatverbote umgehen kann«, sagte Jona mit trotziger Entschlossenheit. »Ich habe in unserer Synagoge mal einen von diesen Toragelehrten sagen gehört, dass es erlaubt sei, am Sabbat auf einem Esel eine längere Reise zu unternehmen, wenn man dem Esel nur einen Wassersack auf den Sattel legt und darauf Platz nimmt.«
    Timon runzelte die Stirn. »Und mit welcher Begründung soll das auf einmal nicht mehr gegen das Gesetz der Tora verstoßen?«
    Jona verzog das Gesicht zu einer spöttischen Miene. »Weil laut der Tora ›Reisen auf dem Wasser‹ am Sabbat erlaubt sind. Denn einem Schiff und seiner Mannschaft auf hoher See kann man ja auch schlecht einen Ruhetag vorschreiben, als gäbe es keine Winde, Strömungen, Stürme und Arbeiten an Bord, die einfach keinen Aufschub dulden. Wenn man dagegen die Ausnahme in der Tora ganz wörtlich nimmt wie dieser Schriftgelehrte, dann reist ja auch der Mann, der auf dem Wassersack sitzt, erlaubterweise ›auf dem Wasser‹.«
    Timon lachte kurz auf, aber es steckte wenig Belustigung in seinem Lachen. »Kein Wunder, dass die Essener von Qumran für die Schriftgelehrten und Pharisäer wegen ihrer oftmals schlitzohrigen und haarspalterischen Auslegung und Verdrehung der Tora nur Verachtung übrig haben!« Einschränkend fügte er jedoch hinzu: »Aber besser sind die Essener deshalb noch lange nicht. Die Bruderliebe gilt nicht jedem Mitglied in gleichem Maß, sondern bei ihnen soll jeder nach seinem Rang in der Gemeinschaft geliebt werden. Und wenn sie wiederholt zur Demut aufrufen, dann meinen sie damit, dass man sich als Niemand in ihrer strengen Hierarchie mit seinem Los abzufinden hat. Ein Los, das manchmal unerträglich bitter ist. Wenn ich nur daran zurückdenke, wie unbarmherzig sie die Tora auslegen und den Sabbat über alles stellen, sogar höher noch als das Leben eines ihrer eigenen Leute, dann läuft es mir jetzt noch kalt den Rücken hinunter.«
    Jona horchte sofort auf. »Was meinst du mit unbarmherzig?«
    »Ihnen sind der Sabbat und das Verbot, irgendwelche Tätigkeiten auszuüben, dermaßen heilig, dass sie sich nicht einmal um einen ihrer eigenen Leute kümmern, wenn der sich in

Weitere Kostenlose Bücher