Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Lebensgefahr befindet und Hilfe braucht«, berichtete Timon. »Lieber lassen sie ihn sterben, als dass sie auch nur einen Finger zu seiner Rettung rühren. Und das weiß ich aus eigener Erfahrung. Mein Vater und ich haben selbst miterlebt, wie sie einen ihrer Leute an einem Sabbat haben verbluten lassen. Dabei wäre ihm leicht zu helfen gewesen.«
»Das ist ja unglaublich... und abscheulich!«
»Ja, so empfanden wir es auch. Mein Vater wollte eingreifen, weil er es nicht länger mit ansehen konnte, aber man hat ihn nicht zu dem Verletzten gelassen. Er war außer sich und hat ihnen heftige Vorwürfe gemacht. Das war dann der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht und zu unserem Ausstoß aus der Gemeinschaft von Qumran geführt hat.«
»War da nicht noch etwas?«, fragte Jona, der nicht vergessen hatte, dass es da noch eine Geschichte gab, die Timon ihm zu erzählen versprochen hatte. Und die Gelegenheit erschien ihm günstig, ihn jetzt daran zu erinnern. »Da war doch noch die Sache mit den kupfernen Schatzrollen, von der du mir erzählen wolltest. Also, dass man die Texte der Tora oder andere gelehrte Texte auf Pergament oder Papyrusrollen schreibt, ist ja was ganz Alltägliches, sofern man das Geld für Papyri 22 hat und zu den Leuten gehört, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Aber von Rollen aus Kupfer habe ich noch nie gehört.«
Timon nahm das Stichwort bereitwillig auf. »Ja, das war auch so eine Sache, die mein Vater nicht verstanden hat - und ich schon erst recht nicht.«
»Was hat es denn nun mit diesen Schatzrollen der Qumraner auf sich?« Gespannt beugte sich Jona vor. »Sind auf diesen Rollen die Orte verborgener Schätze eingetragen?«
»Ja, angeblich sollen auf diesen kostbaren Schriftrollen aus gehämmertem Kupfer die Orte eingetragen sein, wo unvorstellbar große Schätze verborgen liegen. Schätze, die nur den ›Söhnen des Lichts‹ zugänglich sind«, berichtete Timon. »Ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht. Ich selbst habe die Schatzrollen nur aus der Entfernung zu Gesicht bekommen. Aber mein Vater bezweifelte die Existenz der Schätze. Er hielt die ganze Sache für Augenwischerei, um es demjenigen, der bei ihnen eintreten will, leichter zu machen, der Gemeinde sein gesamtes Hab und Gut auszuhändigen.«
»Das wäre dann also nur Erfindung?«
Timon zuckte die Achseln. »Ich vermute es ja nur. Gut möglich, dass die Ältesten wirklich daran glauben, dass auf den Rollen die Orte ungeheurer Schätze verzeichnet sind, weil sie das so vor Jahrzehnten von den Ältesten übernommen haben, an deren Stelle sie dann später getreten sind. Denn diese Kupferrollen sollen schon über ein Jahrhundert alt sein.«
Verständnislos schüttelte Jona den Kopf. »Das ergibt irgendwie wenig Sinn, dass solch asketisch fromme Leute, die doch fast allen weltlichen Freuden abgeschworen haben, wie du erzählt hast, sich mit echten oder auch nur eingebildeten Schätzen abgeben!«
»Recht hast du. Was sollen denn auch weltliche Schätze jeglicher Art, wenn sie sich doch zur Ehelosigkeit und zum völligen Verzicht auf persönlichen Besitz verpflichtet haben, in primitiven Naturhöhlen und einfachen Zelten leben, sich nicht einmal ein winziges Stück Fleisch gönnen und zudem auch noch überzeugt davon sind, dass die Endzeit und damit Gottes Weltgericht nicht mehr lange auf sich warten lassen wird«, pflichtete Timon ihm bei. »Und genau das hat auch meinen Vater verwirrt und ihn zu Fragen veranlasst. Fragen, die jedoch alles andere als willkommen waren. Na ja, den Rest kennst du ja.«
Jona war ein wenig enttäuscht, dass Timons Geschichte über diese Kupferrollen mehr Rätsel aufwarf als Fragen beantwortete.
»Übrigens verdanke ich es den Qumranern, dass ich seit damals auf den Namen Timon höre.«
»Was? Du hast nicht immer Timon geheißen? Sag bloß, die Essener haben dir einen neuen Namen verpasst, als ihr bei ihnen eingetreten seid?«, fragte Jona überrascht.
»Nicht ganz. Bei meiner Geburt hat mir mein Vater den Namen Thaddäus gegeben, weil meine Mutter in diesen Namen verliebt war.«
Jona grinste. »Du heißt also eigentlich Thaddäus?«
Sein Gefährte machte eine verlegene Geste, als wäre es ihm ein wenig peinlich, darüber zu reden. »Nun ja, es war eben damals schon groß in Mode, dass auch fromme Juden ihren Söhnen römische oder griechische Namen gaben, ganz besonders bei uns oben in Galiläa«, erklärte Timon. »Und meine Mutter hat meinem Vater so lange in den Ohren
Weitere Kostenlose Bücher