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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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hat es verdient, dass wir ihn mit der Erwähnung seines Vermächtnisses würdigen. Ich blicke jedes Mal in sein Gesicht auf dem Wandgemälde am Platz, wenn ich vorbeikomme, und denke an ihn. Welch ein gewaltiger Held, kaum sechzehn, welch ein Mut, sich selbst in die Luft zu sprengen, ein hübscher Junge, zweifellos.» Nadschafian rechtfertigte sich: «Gute Frau, auf den Straßenschildern steht nicht Bukarest, der Tourist hätte die Abbiegung nicht gefunden.» Und Frau Safureh, die spürte, dass er sich verstellte, dass er unschuldig tat und auf sie herabsah, lächelte höflich und entfernte sich mit der Flasche Zamzam. «Man muss vorsichtiger denn je sein», erklärte sie Zahra, Babak und mir. «Das Informations- und Sicherheitsministerium und die Basidschmilizen haben mindestens hunderttausend freiwillige Spione, und es wäre schlicht unlogisch, dass ausgerechnet in diesem Haus keiner ist.»
    «Ein Glück, dass sie die Gedanken noch nicht ausspionieren können», sagte Babak, «denn dort geschehen ja die wirklich großen Verbrechen.»
    Das Frühstück war zu Ende. Frau Safureh entschwand auf einem schwarzen Fahrrad die Straße hinunter, und auch Babak auf seinem blauen Jungenfahrrad, nicht ohne mir vorher anzubieten: «Nimm es dir, wann immer du willst, Kami, scheu dich nicht», und mir den Code für das Schloss zu geben. Als nur wir beide allein waren, sagte Zahra zu mir, sie habe gute Gründe für den Verdacht, dass der Junge homosexuell sei. Er verberge es zwar gut, doch sie habe ein Talent dafür, das Phänomen zu erkennen. Schließlich kenne Babak ihre Lieder auswendig, mache Einkäufe für sie, bringe kochfertige Büchsen aus dem Feinkostgeschäft, damit sie die für ihn aufwärmte, setze sich ihr gegenüber und bitte sie, von den wilden Tagen der Unzucht und Abartigkeiten zu erzählen, von sämtlichem Klatsch und allen Intrigen. Er sei wie ein Kleinkind bei ihr, ein Peter Pan, der sich weigerte, erwachsen zu werden. Sie schnitt ihm das Schnitzel in kleine Vierecke, und er schüttete Ströme von Ketchup darüber, aus einer Flasche in Form eines roten Bären, auch über den Tschello, den gedämpften Reis mit Berberitzen. Sie kratzte für ihn die knusprig goldbraune Schicht, das Tahdig, vom Topfboden, und den Gemüsesalat servierte sie ihm hauchfein geschnitten, versteckte eine Schicht frischer Kräuter darunter, damit er keinen Schreck bekam. Er umarmte sie oft und machte ihr Komplimente für ihre Perlenketten. Kurz gesagt, durch und durch ein Homosexueller. «Warum soll er sich nicht für eine Operation anmelden?», fragte sich Zahra. «Es ist ja schließlich heutzutage so einfach, eins, zwei, drei, man schneidet, formt, modelliert, sogar der Staat unterstützt es, warum soll Babak nicht ein hübsches Mädchen werden? Alle seine Probleme wären gelöst.»
    «Ich hoffe nicht», erwiderte ich, denn ich fühlte mich nicht wohl bei dem Gespräch, und ich kannte keinen Homosexuellen, hatte also keine Möglichkeit zu beurteilen, ob er einer war oder nicht oder etwas dazwischen.
     
    Am Mittag machte ich mich zu dem berühmten Computer-Center an der Talekanistraße auf und kaufte mir einen Laptop, ein Geschenk meiner Eltern. Bevor ich wegfuhr, hatte ich zu meiner Mutter gesagt, man brauche kein Geld verschwenden, die Computer mit Internetzugang gebe es schließlich in der Fakultät, umsonst, und an den Abenden würde ich im Cyber-Café Golestan surfen, nur achthundert Tuman in der Stunde, ich würde Freunde kennenlernen, Atmosphäre schnuppern, deshalb würde ich ja überhaupt hinfahren. Doch meine Mutter beharrte darauf. «Ich habe dich in der Nacht lieber zwischen vier Wänden. Draußen herrscht moralische Dunkelheit und religiöse Finsternis.» So dachte sie über die Stadt.
    Um fünf war ich bereits wieder in der Wohnung, startete den neuen Computer, schlank und stylish, und schloss ihn ans Netz an. Das Haus wurde nie wieder so, wie es vor jenem Abend gewesen war.

3
    Zahra stand in der Küche, wo sie langsam und gelangweilt Brotscheiben mit Karottenkonfitüre bestrich. So langsam, dass ich das Gefühl hatte, verrückt zu werden, also rief ich herüber, sie solle sich zu mir in den Salon setzen. Sie ließ sich bar jeglicher Neugier vor dem neuen Gerät nieder, von dem sie keine Ahnung hatte. Auch an den Möglichkeiten, die es barg, hatte sie kein Interesse. Als käme ich aus dem Kindergarten mit einer endlosen Geschichte zurück, und sie hatte nicht einmal den Nerv, sich als aufmerksame, bereitwillige Tante

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