Der geheime Basar
gegenübersitzen? Wir schwiegen. Als es läutete, wandte sie sich zur Tür. Babak und Frau Safureh traten lautstark ein, verlangten nach Aufmerksamkeit. Ich blieb für mich, betrachtete wieder den Bildschirm, die Suchzeile. Und urplötzlich – innerlich ein Ausbruch der Erleichterung – Moment! Ich hatte ein R getippt statt einem Z, Rahra Chazuri! Die beiden Buchstaben unterschieden sich nur durch ein Pünktchen, lagen auf der Tastatur nebeneinander. Fast hätte ich losgebrüllt, um die erlittene Schmach auf der Stelle wiedergutzumachen, doch ich beherrschte mich, erst musste ich es allein überprüfen. «Zahra Chazuri», tippte ich. Die Sanduhr rann. Langsam. Dann tauchten auf dem Bildschirm lange blaue und schwarze Zeilen auf, dichtgedrängt, auf Persisch und Englisch. Mein Blick schoss zur Kopfzeile. Zwanzigtausend. Was für ein Glücksgefühl. Zwanzigtausenddreihundertsiebenundfünfzig! «Zahra! Zwanzigtausend!», brüllte ich. «Zwanzigtausend Einträge für Zahra Chazuri!»
Ihre Augen öffneten sich weit wie Brunnenschächte, sie näherte sich, aufgeschreckt, wagte es kaum zu glauben. Sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte, während sechs Augen sie in diesem intimen Moment studierten. Auch Frau Safureh trat näher, und Babak, alle drei standen sie hinter mir und spähten auf den Monitor. Ich ging zu YouTube. Ein kleines Quadrat öffnete sich, eine verschwommene Übertragung mit schwachem Knistern, hübsch, wie eine Schallplatte von früher. Ein dicker Akkordeonspieler mit Schnurrbart quetschte den Balg, machte eine lächerliche Verbeugung und verschwand hinter einem Paravent. Ein junger Mann trat auf, in schwarzem Jackett und offenem kalkfarbenem Hemd, das sich blähte, stellte sich an den Rand einer gewaltigen Festbühne und schluckte. «Hier ist der Augenblick, auf den wir alle an diesem ungeheuer großen Abend gewartet haben», verkündete er. «Heißen Sie die Legende willkommen, die Frau mit der hauchfeinen Stimme eines Instruments, die Frau, wegen der die Saiten erzittern.» Er hob seine buschigen Brauen und lächelte verkrampft. «Hier ist sie», schrie er, «die Angebetete!» Das Publikum war hoch gespannt, Krawatten tragende Männer in Abendanzügen spähten erwartungsvoll durch dicke, dunkle Brillen, Frauen mit spektakulär toupierten Frisuren versuchten, ihre Freude zu verbergen, wenn sich die Kamera näherte und auf ihnen verweilte, um sich dem Anschein nach völlig natürlich zu geben. Reihen um Reihen, ein Teppich aus Köpfen, applaudierenden Händen und entblößten weiblichen Schultern. Bunte Stoffe durch eine Schwarz-Weiß-Linse. «Der Schlager», schrie er, «der Riesenhit ‹Sehnsucht nach dem Frühling›!» Und dann herrschte Stille. Außer dem feinen Knistern. Ein Scheinwerfer flutete spiegelnde Stufen hinab ins Zentrum der leeren Bühne, und in seinem Licht stieg sie herunter – Zahra. Sie war schön, wunderschön und zart, in einem weißen Kleid, das die Knie freigab, hinten jedoch nachschwang wie eine königliche Schleppe. Die Orchestermusiker zu ihren Füßen erhoben sich. Ihre lange Perlenkette funkelte, die Ohrringe tanzten, sie blieb vor der silbernen Säule stehen. Der Dirigent hob den Taktstock, eine leise Geige schlug den Ton an. Und dann sie. Zahra erfüllte die Luft mit einem scharfen, süßen, präzisen Ton. Ihr Ton, ich identifizierte ihn sofort. Ihre Hände, die lose seitlich am Körper herabhingen, gingen langsam in die Höhe, nach vorne, streckten sich zu ihrem geliebten Publikum hin. Eine Trompetenreihe stand auf, Scheinwerfer überfluteten den Bildschirm mit Lichterglanz, das Bild verlor den Fokus. Gleich darauf donnernder Trommelwirbel. Das Fest begann, rhythmisch, fröhlich, lachend. Hintergrundsängerinnen in langen Blümchenkleidern mit glattgebügeltem Haar tanzten hinter ihr, Begleitsänger wiegten sich monoton wie klobige Palmen, die Bühne drehte sich. Zahra reckte das Kinn, dehnte ihren weißen Schwanenhals. Sie prononcierte jede Silbe, vollkommene Harmonie, schloss die Augen, erklomm ungeheure Höhen, begleitet vom Flug der Streichinstrumente. Ich war nicht sicher, ob sie hier im Salon hinter mir noch atmete. Babak hielt sich den Kopf mit beiden Händen, biss sich auf die Lippen, um nicht zu schreien. Eine Brise, die von den Seiten der Bühne her aufkam, teilte ein paar Locken ihres schimmernden Haars. Honigblond. Das Publikum sprang auf die Füße und jubelte, lange Ovationen und Pfiffe. Eine Göttin. Alles tobte. Und dann verblasste es, verlosch.
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