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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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auszugeben. «Was ist da zu sehen?», fragte sie, als tue sie mir einen Gefallen damit, dass sie mir die Gelegenheit gab, noch ein paar Worte zu sagen, bevor sie weglief.
    «Komm, wir probieren es», antwortete ich, «wir surfen, und wir werden ja sehen, was dabei herauskommt. Gib mir ein Stichwort, lass deine Phantasie spielen, was dir gerade in den Kopf kommt.»
    «Ich bin nicht gut in Ideen», entschuldigte sie sich.
    «Ein Wort, ein x-beliebiges Wort», beharrte ich, «tob dich aus.»
    «Orgasmus», antwortete sie, wobei sie nicht einmal grinste.
    Das war ein wenig erschreckend, um die Wahrheit zu sagen. Tanten sollten sich eigentlich nicht so benehmen, vielleicht waren sie in den Siebzigern so, doch ich enthielt mich jedes Blickes. Ich suchte bei Google und klickte das erste Ergebnis an. Ein Fenster öffnete sich: «Das gewünschte Material wurde gemäß den Gesetzen und Statuten der Islamischen Republik zensiert. Wir entschuldigen uns, falls wir Ihnen damit Unannehmlichkeiten verursacht haben sollten.» Ihr habt mir gerade Unannehmlichkeiten erspart, dachte ich, Dank dem Obersten Führer. Und oben auf der Seite zerstoben gelbe und orangefarbene Laubblätter im Wind. Ein zweites Ergebnis, Wikipedia in Persisch. «Hier, ich lese es dir vor: Der Orgasmus eines Schweins dauert dreißig Minuten. Hast du das gewusst? Das ist wissenschaftlich erwiesen.»
    Zahra hob geringschätzig die Augenbrauen. Ich klickte mich durch die Seiten, ließ mich von einem zum anderen führen. «Forschungen beweisen, dass Menschen, die mit sich selbst reden, ein langes Leben vergönnt ist», las ich ihr weiter vor. Eine erste Reaktion – Erstaunen. Sie errötete, als frage sie sich, ob Gespräche mit einer Katze als Selbstgespräche galten. Vielleicht tauchte diese Studie in ihren Augen jetzt eigens für sie auf, um sie zu ermutigen, denn die Betreiber des Internets waren sicher nicht darüber informiert, dass sie gar kein langes Leben wollte.
    «Unglückliche Menschen sehen mehr Fernsehen.» Ich schwankte. Solche Studien waren vielleicht nicht unbedingt gesund für sie. Doch Zahra legte eine Hand auf die Maus, versuchte, die Bewegungen zu steuern, was hinauf- und hinunterführte. Die langen Finger ihrer Hand strichen anmutig über das Plastik, als spielten sie auf Tasten, sie lernte schnell. Ihre Augen huschten zwischen den kurzen, schnellen Zeilen von Ergebnissen und Erklärungen hin und her, die über den Bildschirm flimmerten.
    «Um sich vor Erdbeben zu schützen, wird empfohlen, zwischen dem zweiten und fünften Stockwerk zu wohnen.»
    «Wunderbar, das ist gut für uns», rief sie zufrieden aus. «Ich fürchte mich vor nichts außer vor Erdbeben, davor, mit dem fetten Jungen von Nadschafian unter den Trümmern begraben zu werden, mit einem abgerissenen Bein, zwei Wochen lang, was könnte schlimmer sein?»
    «Experten warnen: Ein besonders heftiges Beben befindet sich auf dem Weg hierher. Immer wenn du daran interessiert bist, etwas herauszufinden, Zahra, brauchst du es nur sagen, und ich werde surfen», versprach ich ihr.
    «Nein, lass das, Kami, ich bin gegen diese Studien, ich hatte es nie mit der Wissenschaft», tat sie die ganze Sache ab. Mit einem Mal erschöpft, brachte sie keine Geduld mehr auf.
    «Es gibt auch geschichtliche Dokumente und Erinnerungen», beharrte ich, «vielleicht gibt es Bilder von dir, von früher, bestimmt gibt es welche, komm, wir versuchen es.»
    Sie wartete misstrauisch. Ich tippte. Wir waren beide nervös – ich betete, sie nicht zu enttäuschen, begriff zu spät, dass ich vielleicht etwas versprochen hatte, das ich unmöglich halten konnte, und sie, neben mir, hatte Angst vor einer Entdeckung, die sie dazu zwingen würde, zu viele Dinge zu fühlen. Vielleicht war es ihr ja gerade recht, dass es einer Frau in unserem Staat seit drei Jahrzehnten verboten war zu singen. Von Jahr zu Jahr klangen ihre Lieder in der Erinnerung schöner. Ich klickte auf «Suche». Eine weiße Seite tauchte auf dem Bildschirm auf, wie eine Fehlermeldung im leeren Raum. «Der Suchbegriff hat kein Ergebnis erzielt», stand neben einem gelben Warndreieck mit Ausrufezeichen. Nichts. In meinem Kopf flüsterte es, auch ein Sprung vom Balkon im dritten Stock wird dich jetzt nicht retten. Wer macht so etwas, ohne vorher zu recherchieren? Dumm und unsensibel. Ich krümmte mich vor Peinlichkeit. Und Zahra war ganz still, erniedrigt und sicher auch wütend. Wie könnte ich ihr nun jeden Abend mit dem betrügerischen Computer

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