Der geheime Basar
waren. Die Technologie wird nur ihre Waffen wechseln.
Das Manuskript nahm allmählich Form an, doch es gähnte immer noch ein leerer Raum. Ich wusste, wir müssten uns treffen, die Iraner und ich, in Fleisch und Blut. Keine Exilanten, keine Flüchtlinge, keine Juden, sondern durchschnittliche junge Leute. Das Innenministerium in Teheran stellt keinen Pass an Bürger aus, die nicht in der Armee gedient haben, es sei denn, man ist zu Studienzwecken an einer offiziellen Einrichtung eines anderen Staates eingeladen. Wer ausreisen will, benötigt in vielen Fällen eine Rückkehrbürgschaft, die er nicht aufbringen kann. Und die meisten Länder der Welt erschweren zunehmend die Ausstellung eines Visums für Bürger der Islamischen Republik. Dennoch gelang es uns, ein Treffen zu arrangieren, meinem Freund und mir. Ich wartete auf der anderen Seite des Erdballs auf ihn, im hinterletzten Zimmer eines Hotels, das sich als verdächtig dunkel und still herausstellte, und die Überwachungskameras, die aus irgendeinem Grund die Korridore kontrollierten, ließen mich Verdacht schöpfen: Vielleicht werde ich vom Mossad überwacht? Vielleicht sieht der iranische Geheimdienst in mir den Mossad? Vielleicht hatte ich niemals einen solchen Freund, alles war Illusion und Täuschung? Er verspätete sich um vier Stunden, und die schlimmsten Szenarien rasten mir durch den Kopf. Um ein Uhr nachts gab ich auf und versuchte vergeblich zu schlafen.
Um ein Uhr dreißig riefen sie aus der Lobby an. Ich ging hinunter, und da stand er, zerknirscht, erklärte, dass er eine russische Touristin im Flugzeug kennengelernt habe. Das Eis schmolz augenblicklich. Wir umarmten uns. Wir gingen raus, um am Strand herumzuwandern, tranken in einer Bar, kein Mensch hätte vermutet, dass wir von den verschiedenen Seiten der Front kamen – unser Geschmack in Sachen Literatur, Musik, Film, sogar Kleidung war identisch. Ich fragte ihn: Mit welchen Fernsehsendungen bist du als Kind aufgewachsen? Er antwortete: Mit Marco, dem italienischen Jungen, der seine Mutter rund um die Welt sucht. Ich auch. Gegen Sonnenaufgang setzten wir uns mit Flaschen ans Wasser. Er prüfte meine Fortschritte im Persischen, und ich die seinen in Hebräisch. Er schäumte über vor Neugier, denn Israel war all die Jahre für ihn nur eine gelbe, gewalttätige Wüste mit Dauerkrieg gewesen. Und er war in meinen Augen all die Jahre nichts als ein dunkler Umhang. Auf dem Rückweg ins Hotel fragte ich ihn: Wie sind diese Untergrundpartys bei euch eigentlich möglich? Wie blind ist das Regime? Im Gegenteil, erwiderte er, wir sind die Blinden. Die religiösen Führer sehen uns gern als narkotisierte Kälber, die Politiker wollen sicherstellen, dass wir etwas Dampf ablassen, bis wir älter werden, uns ausliefern, es satt haben zu rebellieren, und mit unserem Lebensunterhalt ausgelastet sind. Die Zügel lockerlassen und anziehen, so spielen sie mit der Jugend, und es gelingt ihnen, uns ruhig und friedlich zu halten. Die Fragilität der Freiheit, die Leichtigkeit, mit der sie geraubt werden kann, der Fuß, der das Individuum mit Füßen tritt – wenn Geschichte, Politik und Ideologie aus der Mode kommen, gibt es niemanden mehr, der auf Posten steht, um vor ihnen zu schützen. Er erzählte, und ich dachte an mich selbst. Diese Ähnlichkeit ist erschreckend, aber auch schön. Eine Woche verbrachten wir zusammen, und dann trennten wir uns, ohne zu wissen, für wie lang oder ob für immer.
Im vergangenen Jahr arbeitete ich noch beim Fernsehen, in einer Führungsposition bei «Keschet». Mein Buch «Wenn es ein Paradies gibt» erschien in den USA und in Europa, wenig später wurde mit seiner Übersetzung ins Chinesische, Koreanische und Portugiesische begonnen. Die Verfilmung des Buches unter dem Titel «Beaufort» öffnete uns die Türen zur Oscar-Verleihung. Anlässlich dieser Erfahrungen hatte ich gehofft, den Mut zu finden, das Büroleben aufzugeben und mich ganz dem Schreiben zu widmen. Doch der Mut tauchte nicht in der Euphorie der roten Samtteppiche und des Champagners in Los Angeles auf, sondern eine Woche später, als ich mich auf dem Weg von London zur Universität Leeds zu einem Treffen mit zwanzig Studenten befand. Zweieinhalb Stunden sowohl hin als auch zurück in einem leeren Zugabteil kamen mir damals sehr seltsam vor. Es waren Tage, an denen ich jede Sekunde für mich mehr oder weniger in Begriffen von Gestehungskosten und Nutzen gegenrechnete: Eine Stunde in der Gesellschaft von
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