Der geheime Basar
wir in unsere Gasse zurück, zu der Herberge. Durch das Fenster kann man dichtgedrängte weiße Türme sehen. Flugzeuge heben ab, zehnspurige Straßen warten nur darauf, dass wir mit dem Moped losdonnern. Einmal in der Woche sehen wir das Spiel unserer Mannschaft im Azadi. Und spätnachts internationalen Fußball auf Kanal drei, bei Cashewnüssen und Eis, Dinge, die Mama auf die Palme bringen. Amir hat sich in Medizin immatrikuliert, und ich suche Arbeit in der Hightech-Branche. Nächste Sommerferien fliegen wir nach Malaysia.
Donnerstags besuche ich am Nachmittag Zahra. Ich kaufe Fleisch am Argentina-Platz sowie eine Tüte mit ofenwarmen, frischen Schirini, das Gebäck, das Babak immer mitbrachte. Ich stehe an der Tür, sie öffnet, «durud azizam», sagt sie mit einem mütterlichen Lächeln, «Hauptsache, es geht dir gut», und führt mich zu den Sofas im Salon. Sie kocht mir Reis und Choreschte Karafs, Sellerie und Rind mit Zwiebeln, Minze und frischem Limonensaft. Es schmeckt etwas fade bei ihr, ist aber essbar. Im Hintergrund ein Konzert von Schadscharian oder Farschid Dschahandideh, ruhige Saiteninstrumente. Auf dem Balkon wächst eine Zwergpalme. Zahra verbringt den Großteil des Tages in ihrem Schatten, als sei sie ganz woanders, in einer Muschel, gefangen in ihrem eigenen Leben, und die übrige Welt kann sich ruhig aufhängen – und man kann es ihr nicht übelnehmen. Ihre Uhr ist schon vor langer Zeit stehengeblieben. Sie stützt sich aufs Fensterbrett, mit dumpfem Blick durch die dunkle Sonnenbrille, stirbt in den Sonnenstrahlen vor sich hin. Oder verrottet vor nationalen Unterhaltungsshows, dem Wissenschaftskanal, dem Studienkanal, den Programmen für Heim- und Hobbyhandwerker, der ewige, nie endende Müll.
Ich sage zu ihr: «Sobhaneh, nahar, scham? Frühstück, Mittag-, Abendessen? Ist das alles? Und was ist sonst noch geboten im Leben?»
«Ich habe Zeit zu leben», erwidert sie gereizt, «das heißt nicht, dass ich gelangweilt bin. Im Radio haben sie gesagt, dass wir in den letzten drei Jahren nur sechzig Tage ohne extreme Luftverschmutzung hatten, ich deventiliere hier in aller Stille. Und die Inflation steht bei siebenundzwanzig Prozent. Ich habe eine Katastrophenversicherung abgeschlossen. Und die Krähen toben auf dem Dach herum wie immer und lassen einen nicht schlafen. Die Schädlingsbekämpfer sind ratlos, und die Taubenjäger haben sich geweigert, sich mit Krähen abzugeben. Die Krähe ist ein rachsüchtiges und gewalttätiges Tier.»
Chamad hat gelernt, mit ihr zu kuscheln. Er rollt sich zusammen und schnurrt. In der Dunkelheit, wenn Zahra von ihrem kurzen Sprung in den Park zurückkehrt, ist sie dankbar dafür, dass er da ist, dass er für sie die Einsamkeit und die graue Düsterkeit des alten Gebäudes erträgt. Das Problem mit Chamad ist nur immer wieder, dass um ihn herum alle brünstig sind; Brunstkämpfe werden überall ausgetragen, die ganze Welt ein einziger Sexkrieg – und ihm ist es nicht vergönnt mitzumachen. Und das Problem mit Zahra ist, dass sie den ganzen Tag über Katzen redet, in allem sieht sie etwas, das mit Katzen zu tun hat. Manchmal ist er traurig, ihr Kater. Warum ist er traurig? Es macht sie verrückt. Warum nur? Ich habe keine Antwort für sie. «In seinen Augen werden wir niemals alt», sagt sie, «er wird es nicht schaffen, uns alt werden zu sehen, er hat ein Ticket für fünfzehn Jahre bekommen, er wird alt werden, spüren, wie er schwächer wird, er wird nicht verstehen, was ihm geschieht, aber verstehen, dass es zu Ende geht und dass wir ihn überleben. Er wird gehen.»
«Das wird erst in fünfzehn Jahren passieren», versuche ich sie aufzumuntern, «es ist noch Zeit, und auch wir werden älter, es ist ein tröstlicher Gedanke, dass wir alt werden», aber Zahra bleibt beunruhigt. «Mach dir keine Sorgen, er ist glücklich, seine Bedürfnisse sind gestillt, Essen, Wasser, Notdurft, Territorium. Kontakt mit seinen Artgenossen? Er hasst den Kontakt mit seinen Artgenossen. Nichts zu machen, das ist seine Natur.»
In den schlimmen Tagen, in ihrer wirren Verzweiflung, hat Zahra zwar erwogen, Chamad im Kinderwagen zum Spazierengehen mit nach draußen zu nehmen, doch dann fürchtete sie sich doch davor, was man über sie sagen würde, denn hier und da sind Passanten unterwegs, die sie erkennen, immer noch, sogar Bewunderer gibt es, wenn man dem Internet glauben darf. «Das Wichtigste ist, man behält mich schön und bei Verstand in Erinnerung.»
Chamad blickt
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