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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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immer Zeit. Im Krieg vermischt mit Roggen, Getreide oder Rübenstücken, bis Lea und ich Besseres anbieten konnten.

    Wenn wir die Nachbarn nicht gehabt hätten, die nach dem Essen ein Stück Leberwurst oder einige Möhren brachten, hätten wir an unseren freien Tagen gehungert. Das war, ehe wir gelernt hatten, wo man am besten und billigsten einkaufen konnte. Ehe wir lernten, Signe dazu zu bringen, die Aufsicht über die Speisekammer der Ottos zu vernachlässigen.
    In der ersten Nacht schliefen Lea und ich zusammen auf der Ausklappbank. Lea war morgens gekommen, nach einer ähnlichen Reise wie meiner. Derselbe Junge, der mich abgeholt hatte, hatte sie ins Zimmer gebracht und war wieder verschwunden. Zuerst hatte sie nur aus dem Fenster geschaut, unfähig, etwas zu empfinden oder zu reagieren. Dann brach die Dunkelheit herein. Die Lampen wurden angezündet, wie ein Sternschnuppenschwarm. Lea beschloss, eine Suppe zu kochen. Wie ich hatte sie Proviant von zu Hause mitgebracht. Da klopfte es an die Tür.
    Draußen stand eine Nachbarin. Sie war nicht reich, brachte aber einige in Papier gewickelte Speckstücke und ein wenig Kaffeepulver mit. Lea bat sie herein. Die Nachbarin kümmerte sich um die Suppe und kochte in einer verbeulten Kanne, die sie im Schrank gefunden hatte, etwas Kaffee. Sie teilten ihn sich, aber die Besucherin wollte nichts von der Suppe haben, von der sie wusste, dass die noch für eine weitere Person reichen musste. Ihr Mann fuhr zur See, zuletzt hatte sie von ihm eine bunte Postkarte aus Hamburg erhalten. Er schrieb, dass es regnete und dass er wohl erst in einem Monat nach Hause kommen würde.
    Lea schilderte Frau Nilsson, was sie später auf der Ausklappbank auch mir erzählte. Die harte Arbeit auf dem heimischen Hof. Die Geschwister. Der Pfarrer, der Mathematik, Geographie, Geschichte, Religion und Biologie unterrichtete. Letzteres verabscheute sie. Ich erzählte von Vater und unseren Wanderungen
und von den getrockneten Äpfeln. Der Gebetssaal wurde wieder lebendig, meine Mutter und Brüder waren bei uns in der Kammer. Der Duft von Seife und Erlösung stahl sich herein, und das, was ich verlassen hatte, wurde greifbarer als meine neue Wirklichkeit.
    Als Linnea hörte, dass ich Rakel hieß, fing sie an, sich Lea zu nennen, nach Rakels hässlicher Schwester in der Bibel. Ich protestierte. Wo sie doch so hübsch war.
    »Danke«, sagte Lea und zeigte auf ihr Muttermal. Dann lachte sie schallend bei der Vorstellung, dass wir wie im Fall der biblischen Rakel jemanden finden würden, der bereit wäre, sieben Jahre zu arbeiten, um uns zu bekommen. Und dann noch sieben weitere Jahre. »Nicht jeder Mann lässt sich so leicht an der Nase herumführen.«
    Ich erzählte von Jakob, meiner Reisebekanntschaft. Der sich für einen Rollstuhl und eine Schreibmaschine abmühte und nicht für eine schöne Braut. Vernünftig, fand Lea. Wenigstens ein Mann, der nicht mit jenem Organ dachte, das ein schusseliger Schöpfer hatte frei herumbaumeln lassen.
    Derlei Gespräche halfen uns beim Einschlafen. Am ersten Morgen erwachten wir starrgefroren und von roten juckenden Wanzenbissen übersät. Erbsensuppe zum Frühstück, den Rest von Frau Nilssons Kaffeepulver im Kochwasser. Masthuggets Engel sahen anders aus als auf meinen Bildern. Aber sie machten sich nützlicher.
    Kaum hatten wir fertig gegessen, klopfte es auch schon an der Tür. Da wir in unseren Kleidern geschlafen hatten, sahen wir zerknittert und ungepflegt aus. Aber Lea war so schön wie in jenem Moment, als ich sie auf der Bank erspäht hatte. Der Junge von gestern schien das auch zu finden, als er in der Tür stand.
    »Ich soll euch zu Ottos bringen«, sagte er und schaute sich
unsicher um. Lea legte sich ein Tuch um die Schultern, ich nahm eine von Mutters Strickjacken, aber die Kälte packte uns, sowie wir den Hinterhof erreicht hatten. Lea und ich wechselten einen Blick. Wir hatten durchgehalten, bis es wehtat. Schweigend gingen wir zum Plumpsklo, und als wir herauskamen, hatten wir blau gefrorene Lippen und verzogen angeekelt die Gesichter.
    »Was für ein Dreck«, sagte Lea und hielt die Hände in eine Pfütze. Ich folgte ihrem Beispiel und riss mich zusammen. Flennen könnte ich später noch, was man muss, das schafft man auch. Ich war hier, weil Vater gestorben war.
    »Ottos wohnen bei der Vasakirche«, teilte unser Begleiter mit. Wir gingen hinter ihm und versuchten zu verstehen, was wir sahen. Geschäftige Straßen mit Pferdewagen und ab und zu

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