Der geheime Stern
ein einziges geflügeltes Pferd aus Alabaster.
Die Gemälde in diesem Raum spiegelten die Magie der Figuren wider – eine neblige Landschaft mit einem silbernen Schloss, das sich in einen violetten Himmel erstreckte, ein schattiger See, aus dem ein einziges weißes Reh trank. Es gab Bücher über König Artus, über irische Legenden, die Götter des Olymp und die alten Römer. Und dort, auf einem kleinen Kirschholztisch, lag ein Buch über Mithra, den Gott des Lichts.
Sie erschauerte. Hatte er das Buch aufgrund der Ermittlungen gekauft, oder hatte er es schon vorher besessen? Als sie den Einband berührte, war sie sich sicher, dass Letzteres der Fall war.
Ein weiteres Bindeglied, geschmiedet, bevor sie sich überhaupt kennenlernten. Für sie war diese Tatsache beruhigend, sie war sogar dankbar dafür. Aber sie hatte keine Ahnung, ob er genauso empfand.
Sie lief nach unten. Mittlerweile fühlte sie sich fast wie zu Hause. Als sie ihre beiden Kaffeetassen vom Morgen nebeneinander in der Spüle stehen sah, musste sie lächeln. Im Kühlschrank entdeckte sie eine Flasche Wein, schenkte sich ein Glas ein und nahm es mit ins Wohnzimmer. Gerade wollte sie sich vor den Fernseher legen, als ein Kälteschauer sie durchfuhr, so plötzlich und durchdringend, dass das Glas in ihren Händen zu zittern begann. Mit angehaltenem Atem starrte sie aus dem Fenster.
Jemand beobachtet mich . Die Worte hallten in ihrem Kopf, eine verängstigte, wispernde Stimme, die womöglich ihr selbst gehörte.
Jemand beobachtet mich.
Doch sie sah nichts außer Dunkelheit, den schimmernden Mond und ein Haus auf der anderen Straßenseite.
Hör auf, befahl sie sich, hier ist niemand! Und doch sprang sie auf und zog hastig die Vorhänge zu. Nachdem sie einen Schluck Wein getrunken hatte, versuchte sie, über sich selbst zu lachen. Die Eilmeldung im Fernsehen ließ sie herumfahren. Eine vierköpfige Familie im nahe gelegenen Bethesda war ermordet worden.
Jetzt wusste sie, wo Seth war. Und konnte sich nur zu gut vorstellen, was er gerade bewältigen musste.
Sie war allein. DeVane saß in seiner Schatzkammer und streichelte eine Elfenbeinstatue der Göttin Venus. Inzwischen war die Statue für ihn zu Grace geworden, hatte sich zu seiner Obsession entwickelt. Er stellte sich vor, wie er und Grace zusammen waren, für immer, unsterblich. Sie würde, zusammen mit den Sternen, sein wertvollster Schatz sein. Seine Göttin.
Natürlich musste er sie zuvor bestrafen. Das musste sein, sie würde es verstehen. Und die beiden anderen Frauen mussten sterben – sie hatten seine Pläne durchkreuzt, waren ihm im Weg gewesen.
Ihr Tod würde Graces Strafe sein.
Sie war jetzt allein. Es wäre so leicht, sie zu sich zu holen. Sie hierher zu bringen. Zuerst würde sie Angst haben, aber das sollte sie auch. Das gehörte zu ihrer Bestrafung dazu. Aber dann würde er sie umwerben, sie für sich gewinnen. Sie besitzen.
Er würde sie mit nach Terresa nehmen. Dort würde er sie zu seiner Königin machen. Ein Gott konnte sich nicht mit weniger als einer Königin zufriedengeben.
Hol sie dir heute Abend . Die Stimme in seinem Kopf wurde lauter und lauter, verfolgte ihn. Er konnte ihr nicht trauen. DeVane zwang sich, ruhig zu atmen und die Augen zu schließen. Er ließ sich nicht drängen. Jedes Detail musste genau geplant werden.
Grace würde zu ihm kommen, wenn alles so weit war. Und sie würde ihm die drei Sterne bringen.
Seth schüttete eine letzte Tasse Kaffee herunter und massierte sich den schmerzenden Nacken. Ihm war noch immer übel von dem Anblick der Leichen in dem vornehmen Stadtrandhaus. Die Leute glaubten, dass man irgendwann immun wurde gegen die Gerüche, das Blut, das Entsetzen.
Das war eine Lüge.
Niemand konnte sich jemals an das gewöhnen, was er gerade gesehen hatte. Und wenn doch, sollte derjenige schleunigst den Polizeidienst quittieren. Man musste sich die Abscheu vor dem Horror und der Brutalität bewahren.
Seth rollte mit den Schultern und richtete sich auf, bevor er an seinen Kollegen vorbei in den Umkleideraum lief. Dort traf er auf Mick Marshall, der auf einer der Bänke hockte und sich die schmerzenden Füße rieb. Sein drahtiges rotes Haar stand wirr vom Kopf ab, sein Gesicht war blass vor Erschöpfung.
“Lieutenant.” Er zog seine Socken wieder an.
“Sie hätten nicht herkommen müssen, Detective.”
“Himmel, ich habe die Schüsse in meinem eigenen Wohnzimmer gehört!” Mick hob einen Schuh auf. “Zwei Straßen weiter. Jesus,
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